Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
Strand entgegenschleppten. Keiner von uns gab sich noch der Hoffnung hin, dieses Labyrinth des Wahnsinns noch einmal zu verlassen. Wir waren weiter von der wirklichen Welt entfernt als je zuvor. Vielleicht waren wir nicht einmal mehr in unserer Zeit.
Der Salzwassergeruch wurde fast unerträglich, je mehr wir uns dem Strand näherten. Die Lautlosigkeit, mit der die finsteren Wellen heranwogten, hatte etwas Bizarres, und als ich genauer hinsah, fiel mir auf, dass die Bewegung des Wassers sonderbar träge und langsam wirkte, als wäre es gar kein Wasser, sondern Sirup oder geschmolzenes Pech.
Müde erreichte ich das Ufer, ließ mich dicht vor der Flutlinie auf die Knie sinken und tauchte vorsichtig den Finger in eine der heranrollenden Wellen.
Das Wasser war kalt und fühlte sich zäh an, irgendwie schleimig, und als ich den Finger an die Lippen hob und ganz vorsichtig kostete, hatte ich das Gefühl, mit purem Salz in Berührung gekommen zu sein.
Und dann …
Das Bild entstand so plötzlich in meinem Geist, dass ich unwillkürlich zusammenfuhr.
Für einen Moment glaubte ich ein Kamel zu erblicken, die mumifizierte Leiche eines Arabers in einem zeitlosen Augenblick auf seinem Sattel erstarrt, beide konserviert und aufrecht gehalten von einer unendlichen Einöde salzigen Wassers, das sie einschloss. Dann schälten sich die Umrisse der Stadt aus dem grauen Nebel meiner Erinnerungen … Shannon …
Plötzlich wusste ich, was das Gesicht bedeutet hatte, der Vorwurf in seinen Augen. Es war Shannons Gesicht gewesen, das Gesicht des jungen Magiers, der beinahe mein Freund geworden wäre und dem ich – zum zweiten Mal – Unheil und Leid gebracht hatte.
Ich glaubte nicht, dass er tot war. Die Shoggoten, die ihn und mich angegriffen hatten, waren nicht zum Töten dagewesen; hätte die Labyrinthkreatur seine Geschöpfe deshalb ausgeschickt, so hätten auch Shannons gewaltige magische Kräfte kaum mehr gereicht, ihn zu retten. Nein – er lebte, das spürte ich.
Aber vielleicht war es auch gerade das, was ich fürchtete, denn ein Leben hier mochte schlimmer sein als der Tod.
Ich vertrieb den Gedanken, stand auf, wandte mich zu Looskamp um, der mir gefolgt war, und sagte: »Wir sind am Ziel, Ger. Ich weiß, wo das Herz des Tores ist.«
In seinen Augen blitzte für einen Moment noch einmal der alte Kampfgeist auf. »Wo?«, fragte er scharf.
Mit einem matten, erschöpften Lächeln hob ich die Hand und deutete auf den gigantischen Salzozean hinter uns. »Dort«, sagte ich. »Am Grund dieses Meeres, Ger. Ich glaube, nicht einmal sehr weit von hier entfernt.«
Er erbleichte, denn das, was ich nicht sagte, musste all seine Hoffnungen mit einem einzigen Schlag zunichte machen.
Vielleicht waren wir dem Herzen des Labyrinthes näher gekommen als jemals ein lebender Mensch zuvor – und trotzdem schien es, als wäre alles sinnlos gewesen. Ich war dort gewesen, in jener Stadt auf dem Grunde des Salzwassers, ohne zu wissen, wie nahe ich dem Beherrscher der Alptraumwelt gewesen war.
Aber es nutzte mir nichts, den Weg zu wissen. Beim ersten Mal hatte mich die magische Kraft meines Shoggotensterns vor dem Ertrinken bewahrt, aber er konnte uns nicht alle schützen. Und allein zu gehen, wäre einem Selbstmord gleichgekommen.
Looskamp wollte etwas sagen, aber seine Worte gingen in einem dumpfen, drohenden Grollen unter, das den Strand unter unseren Füßen erbeben ließ. Seine Augen weiteten sich, während sein Blick an mir vorbei auf den See hinausging.
Voller plötzlichem Schrecken fuhr ich herum.
Die gewaltige schwarze Fläche des Ozeans schäumte und kochte, brach plötzlich wie unter dem Hieb einer unsichtbaren Riesenfaust auseinander. Fontänen aus schaumigem Schlick erhoben sich hundert und mehr Meter in die Luft, barsten auseinander und stürzten in sich zusammen.
Und dann …
Zuerst war es nicht mehr als ein Schatten, ein zitternder, wogender Umriss hinter dem Vorhang aus kochendem salzigen Wasser, gigantisch groß. Er wuchs weiter, gewann an Substanz und …
Dicht vor dem Strand, weniger als hundert Meter von der lavabesetzten Flutlinie des schwarzen Wassers entfernt, wuchs eine Insel aus dem Meer. Geboren aus kochendem Schaum erhob sie sich über uns, ein schwarzes Ungeheuer, das seinen felsgekrönten Schädel weit über das schaumige Wasser reckte.
Und es war nicht nur eine Insel …
Aus dem schwarzen Fels wuchsen Gebäude. Titanische Stützpfeiler aus schwarzem, von Salz und Jahrmillionen zerfressenem Basalt
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