Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
dreiwöchigen Zwangspause hatte er reichlich Zeit gehabt, über sein Leben nachzudenken, und hatte eine traurige Bilanz gezogen. Sein Großvater hatte ihm einmal erklärt, jeder Mensch, ob er arm sei oder reich, gut oder böse, habe auf Erden eine Aufgabe zu erfüllen. Aber was war die seine? Was hatte er in seinem verfluchten Leben vollbracht, das eines Grabspruchs würdig wäre?
Hier ruht ein Kindsmörder,
ein notorischer Dieb und Galgenvogel,
ein Soldat ohne Skrupel und Glauben …
Ein Mann ohne Seele.
Er hob ein wenig die Augenlider und betrachtete das Ufer, das die zurückweichende Ebbe enthüllte. Der Sand glitzerte am Fuß der hohen Felswand. Wie hieß noch einmal dieser Ort? Er hatte zufällig den Namen Foulon vernommen, nichts weiter. Er hatte nicht einmal eine Ahnung, was sie dort tun sollten. Man informierte die Soldaten grundsätzlich nicht. Erst wenn sie an Ort und Stelle angekommen waren, erhielten sie ihre Befehle. Doch nach der großen Nervosität zu urteilen, die er bei den Offizieren wahrnahm, argwöhnte er, dass diese kleine Expedition überaus bedeutsam war. Es war die erste Landungsoperation diesen Ausmaßes, die Wolfe seit seinem Scheitern in Beauport Ende Juli durchführte. Ob sie endlich die Stadt im Sturm einnehmen würden?
Die zahlreichen flachen Kähne glitten lautlos über den Sankt-Lorenz-Fluss und ließen sich von der starken Strömung tragen. Das Boot mit dem Voraustrupp war bereits gelandet, und die vierundzwanzig Freiwilligen, die damit gekommen waren, hatten am Strand Position bezogen. Bald würden sie ebenfalls an der Reihe sein.
Je näher sie dem Ufer kamen, umso stärker wurde Alexander von einem seltsamen Gefühl ergriffen. Eine Empfindung auf halbem Wege zwischen Angst und Aufregung ließ ihn erschauern und sorgte dafür, dass seine Haare zu Berge standen. Er holte tief Luft. Sein Rücken schmerzte immer noch ein wenig, und seine Haut juckte scheußlich, aber daran war er gewöhnt. Der Schmerz war sein ständiger Gefährte geworden. Er trieb ihn voran und ermunterte ihn, seine große Aufgabe zu erfüllen: sich die Achtung seiner Familie zurückzuerobern und dem Wappen seines Clans weitere Ehre hinzuzufügen. Die Wege des Ruhms führen nur zum Grab … Wo hatte er das schon einmal gehört?
Coll bewegte sich, und sein Arm drückte gegen seinen. Er verstand die Botschaft: Sie würden gemeinsam kämpfen. Das Leben des einen gehörte dem anderen; sie waren Brüder im Blute und im Tod. Nachdem ihnen diese Operation angekündigt worden war, hatten Coll und er fast eine ganze Nacht lang geredet, und dann hatten sie einen Eid geschworen und ihn mit ihrem Blut besiegelt: Derjenige von ihnen, der überlebte, würde ihrem Vater berichten, dass der andere ehrenhaft gefallen war. Seitdem fühlte Alexander sich heiter und gelassen. Nun konnte er in Frieden sterben, und er würde es hocherhobenen Hauptes tun und seinem Feind dabei in die Augen sehen. Dies war seine Aufgabe auf Erden.
Das Wasser plätscherte gegen den hölzernen Rumpf, und unter ihnen knirschten Kieselsteine. Ihnen war befohlen, absolute Stille zu wahren. Es war etwa fünf Uhr morgens; bald würde die Sonne aufgehen. Wolfe, der sich in eine lange Houppelande gewickelt hatte und von einigen Offizieren umgeben war, hielt sich ein wenig entfernt von den Reihen, die sich bildeten, als mehr und mehr Soldaten das Ufer erreichten. Die leeren Boote fuhren sofort zurück, um die zweite Division zu holen, die sich noch auf den Schiffen befand. Hauptmann Donald Macdonald hatte rasch sein Regiment aufgestellt und führte seine Männer ohne länger zu warten zum Fuß der Felswand, die über ihnen aufragte. Nun würde der gefährliche Aufstieg beginnen.
Ein französischer Wachposten, der in einiger Entfernung vom Ort der Landung gestanden hatte, näherte sich vorsichtig.
»Qui vive?
»La France «, antwortete Hauptmann Fraser in makellosem Französisch.
»Welches Regiment?«
Ein kurzes Schweigen trat ein.
»Marine!«
»Sprecht lauter! Ich verstehe Euch schlecht.«
»Wollt Ihr, dass die Engländer mich ebenfalls hören?«
»Lasst sie passieren«, befahl der Soldat, an zwei seiner Landsleute gerichtet, die ein wenig entfernt am Strand postiert waren. »Das sind unsere Leute mit dem Nachschub.«
In der Dunkelheit passierten sie direkt unter den Augen der Wachposten und erkletterten die fast sechzig Yards hohe Felswand. Aus der Ferne waren Mörserschüsse zu vernehmen. Die Bombardierung der Stadt ging weiter. Alexander
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