Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Guillot?«
Der junge Mann ließ einige Sekunden verstreichen.
»Doch, ich habe sie gefunden«, murmelte er. »Aber ich warte noch darauf, dass sie zu mir kommt.«
Isabelles Hand glitt von Jacques Guillots Arm, aber er hielt sie gerade noch fest, ehe sie vollends herabfiel.
»Ihr zittert ja, Madame! Seid Ihr sicher, dass Ihr weitergehen wollt?«
»Ja«, antwortete Isabelle nach kurzem Zögern.
Ein bleiernes Schweigen senkte sich auf sie herab, dann wechselte sie das Thema.
»Der Herbst ist meine liebste Jahreszeit. Die Farben sind so schön, so rein. Das Licht hat einen goldenen, warmen Farbton, den man nur um diese Zeit des Jahres sieht. Und die Erde, die Bäume und die Pflanzen strahlen einen solchen Duft aus … mmmh … so, als würden sie uns eine letzte Gunst erweisen.«
»Ja«, nickte Jacques Guillot und tat, als sauge er die Luft ein und betrachte die Büsche. »Aber jede Jahreszeit hat ihre eigene Anziehungskraft, und indem sie vergeht, lässt sie uns auf die nächste warten und hoffen.«
»Das ist richtig«, murmelte Isabelle, die schon vom Winter träumte.
Bald würde eine dicke Schneedecke die Dächer von Montréal bedecken und die Einwohner bis zum nächsten Frühling auf die vier Wände ihrer Behausungen beschränken. Keine Picknicks mehr in den Obstpflanzungen und an den Ufern des Saint-Pierre-Flusses. Doch das gesellschaftliche Leben würde nicht zum Stillstand kommen. Die Abendessen und Bälle würden bis zur Fastenzeit weitergehen und sie in einen betäubenden Strudel reißen, der ihr kaum Zeit zum Atmen ließ.
Die junge Frau erinnerte sich an die letzte Predigt des Pfarrers zu diesem Thema. Diese abscheulichen Lustbarkeiten, deren Zügellosigkeit und Ausschweifungen die reinen Seelen der jungen Mädchen, die von ihren unmoralischen Müttern dorthin geführt werden, vorzeitig altern lassen … Der Gottesmann war sich nicht zu schade gewesen, mit dem Finger auf Madame Dutellier zu zeigen; doch diese hatte angesichts dieses öffentlichen Affronts keineswegs die Augen niedergeschlagen. Anschließend hatte er ein paar – gar nicht so ungeschickte – Tanzschritte vollführt, um diese Gesten und Bewegungen des Teufels zu verdammen, die zu schändlichen Vergnügungen verlockten, nichts als abscheulich waren und nur zu Schande und Krankheiten führten. Sie fragte sich, wo er so gut tanzen gelernt hatte.
Aber eigentlich wartete Isabelle vor allem mit so fieberhafter Aufregung auf die kalte Jahreszeit, weil sie wusste, dass dann die Voyageurs aus dem Norden zurückkehrten, insbesondere van der Meer und seine Männer. Alexander würde zurückkommen. Natürlich, er hatte ihr deutlich genug erklärt, dass er sie nie wiederzusehen wünsche, aber sie hatte etwas anderes beschlossen. Sie würde ihn wiedersehen.
Jacques Guillots leise Stimme holte sie in die Gegenwart zurück.
»Ich habe von dem… Unfall gehört, Madame. Das war sicher schrecklich für Euch.«
»Dem Unfall? Ah … ja. Ich bin noch ganz erschüttert.«
»Wie geht es dem Kind?«
»Sehr schlecht. Man hat mir gesagt, ich dürfe mir nicht allzu große Hoffnungen machen.«
»Das ist traurig.«
»Ja, sehr.«
»Oh! Achtung!«
Der junge Mann fasste Isabelle um die Taille und hob sie seitlich in die Höhe, damit sie nicht in die Hinterlassenschaften der zwei Bichon-Hunde von Madame de Varennes trat. Die molligen Silhouetten der Dame und ihrer Schwiegertochter zeichneten sich in einigen Schritten Entfernung in der Dämmerung ab. Isabelle war von der Galanterie und dem Charme Jacques Guillots ebenso verwirrt wie von seinen Worten. Sie war sich bewusst, dass er sie zu beeindrucken versuchte, um sie zu erobern. Eilig nahm sie die Hände von seinem nagelneuen Samtrock und räusperte sich, um ihm ihre Verlegenheit zu bedeuten.
Der junge Mann lud sie lächelnd ein, ihren Spaziergang fortzusetzen. Seit dem Tag, an dem er sie hier, in demselben Garten, zum ersten Mal am Arm von Pierre Larue erblickt hatte, war er verliebt. Alles an Isabelles Bewegungen brachte eine natürliche, naive Sinnlichkeit zum Ausdruck, eine Anmut, die keiner nachhelfenden Kunstgriffe bedurfte. Damals hatte er noch für den Notar Mézières gearbeitet. Doch Amors vergifteter Pfeil hatte sein Herz durchbohrt. In den folgenden Wochen hatte er die junge Frau mehrfach, wenn auch nur kurz, wiedergesehen. Dann war das Glück ihm hold gewesen: Pierre Larue hatte einen Angestellten gesucht, der ihm zur Hand ging.
Eigentlich war es Jacques Guillot bestimmt gewesen, Maurer
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