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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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steuern können wie ein Schiff oder eine Kutsche.
    Das Luftschiff, das Pauli im Frühling 1802 zeichnete, hatte einen länglichen, schwarzen Rumpf, eine vertikale rote Heckflosse sowie links und rechts hinter dem Kopf zwei seitliche Flossen, die vermutlich der Steuerung dienten. Zwei runde, golden umrandete Augen und ein golden lächelnder Mund verliehen dem Gefährt ein freundlich-verträumtes Aussehen. Als Baustelle und Startplatz wählte er den Garten von Schloss Hindelbank, wo sich heute die Frauenhaftanstalt befindet. Weil er kein Geld besaß, unterbreitete er seinen Plan den Honoratioren Berns, die sich rasch für die Sache begeisterten. In einem Vertrag verpflichteten sich der Präsident der Municipalität und der kurz zuvor abgewählte Regierungsstatthalter,«alle Materialien, die zur Verfertigung obgedachter Maschine erforderlich seyn werden, ohne Anstand in das Schloss Hindelbank zu schaffen». Johann Samuel Pauli seinerseits versprach, sofort mit dem Bau zu beginnen und spätestens im Oktober 1802«in gemelter Maschine (nach vorher gemachten Proben) von Bern nach London zu fahren».
    Im Luftschiff von Bern nach London, über Frankreich und Paris hinweg hinüber zum britischen Erzfeind – das konnte dem französischen Gesandten in Bern nicht gefallen.«Man hat mir bei meiner Ankunft in der Schweiz gesagt», heißt es in den unveröffentlichten Memoiren des Generals Michel Ney,«dass es einem Citoyen Pauly, Mechaniker aus Bern, gelungen sei, eine aerostatische Maschine zu konstruieren, mit der er Reisen durch die Luft unternehmen will. Aus mehreren Gesprächen zu schließen, die ich mit ihm geführt habe, ist er durchaus bereit, sich in den Dienst der französischen Regierung zu stellen. (…) Das Experiment mit der Maschine wird stattfinden. Falls es gelingt, werde ich mich beeilen, der Regierung die Erfindung samt dem Erfinder zukommen zu lassen.»
    Wie es scheint, fand das Experiment auf Schloss Hindelbank dann doch nicht statt. Die Zeitungen jedenfalls verlieren kein Wort über einen Fliegenden Fisch am Himmel über Bern – und das hätten sie wohl getan, wenn Pauli tatsächlich aufgestiegen wäre. Aktenkundig ist hingegen, dass General Ney für das Experiment fünfzigtausend Francs aus der französischen Staatskasse spendete, worauf der sechsunddreißigjährige Pauli, übrigens noch immer ledig und kinderlos, seine Sachen packte und nach Paris zog, um nie wieder zurückzukehren.
    Unter dem Schutz General Neys bezog er eine schöne Wohnung, nannte sich fortan Jean Pauly und beauftragte Aimé Bollé, den berühmtesten Ballonkonstrukteur der Stadt, ihm ein Luftschiff nach seinen in Bern gezeichneten Plänen zu bauen. Nun war Paris zwar die Welthauptstadt der Ballonfahrt, aber so etwas wie jenen Fliegenden Fisch, der da in der Werkstatt von Vater und Sohn Bollé an der Rue de la Mortellerie 127 entstand und am 22. August 1804 im Schlosspark von Sceaux in die Luft stieg, hatte die Welt noch nicht gesehen. Aus technischer Sicht verlief die Jungfernfahrt recht erfolgreich. Sie dauerte ein paar Minuten und führte über mehrere hundert Meter, wobei das Luftschiff nicht abstürzte, nicht in Flammen aufging und während der ganzen Fahrt seine Fischform behielt, da es inwendig von einem Holzgerüst gestützt wurde – eine Erfindung, die hundert Jahre nach Pauly Graf Zeppelin wieder aufnehmen sollte. Paulys zweite wichtige Erfindung hingegen – Antrieb und Steuerung mittels seitlicher Schaufelräder, die er mit Muskelkraft in Drehung versetzte – funktionierte nicht. Zwar versicherte Pauly nach der glimpflich verlaufenen Landung, dass sein Fliegender Fisch in jede gewünschte Richtung lenkbar gewesen sei; aus heutiger Sicht aber scheint wahrscheinlicher, dass es die in verschiedenen Höhen unterschiedlich wehenden Winde waren, welche die Richtungsänderungen auslösten. Jean Pauly analysierte den Flug, grübelte über technischen Verbesserungen und zeichnete neue Pläne. Ein gutes Jahr später, am 4. November 1805 nachmittags um halb drei Uhr, stieg sein Fliegender Fisch nochmal auf und fuhr, wie Pauly den Lesern des Journal de Paris anderntags berichtete, bei mäßigem Ostwind«mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes»vom Tivolipark über die Champs-Élysées zur Place de la Concorde, wo zweiundzwanzig Jahre zuvor Marie Grosholtz der Hinrichtung Ludwig XVI. beigewohnt hatte. Dort betätigte der Aeronaut seine Luftruder und schaffte es laut eigener Aussage, fünf oder sechs Minuten gegen den Wind

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