Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
satt war und weil sein Adrenalin jetzt simmerte.
Dann zeigte sich der Feind. Er kam von oben, ließ sich scheinbar von einem Dach fallen, flicflacte aber in Wirklichkeit vertikal von Balkon zu Balkon nach unten. Er kam auf, rollte seitlich über kurzen Rasen, überhaupt kein Ziel bietend, zog im Aufspringen Langschwert und Kurzschwert wie bei einer Thorax-Autopsie auseinander und setzte wie ein Hürdenläufer über eine Bambuspalisade hinweg. Ein halbnackter Japaner, bekleidet nur mit den braunroten Stirnknochen seiner Feinde. Also hatte er zu Hiobs Ehren seinen ganzen Schmuck angelegt. Wie festgeklebt saßen die ermordeten Knochen auf seiner gebräunten Haut.
Hiob klappte die Zielvorrichtung aus, verfluchte innerlich das schlechte Licht, denn er konnte durch das Fadenkreuz fast gar nichts erkennen. Der Samurai blieb stehen, in etwa dreißig Meter Entfernung, aber doch nicht so ganz. Seine Schwerter tänzelten vor seinem Körper hin und her wie Marionetten, der Leib schwankte wie Gräser im Wind, er bot ein denkbar undankbares Ziel, zischte dabei und formulierte heisere Worte, die Hiob nicht verstehen konnte, die vielleicht aber ein Name waren oder eine Begrüßung oder eine Kampfansage oder sonst eine formelhafte Floskel, die ein Samurai eben so von sich gibt, bevor er sich ans Töten macht.
Als der Krieger dann anlief, nicht gerade, sondern in den kunstvollsten Haken-Sprüngen, von denen Hiob jemals auch nur gehört hatte, dämmerte dem Spieler Montag sein ganzes Dilemma. Er hatte halt nur einen einzigen Schuss. So, wie der Samurai sich bewegte, war es mehr als wahrscheinlich, dass dieser eine Schuss danebenging und irgendein unschuldiges Haus zerlötete. Hiob konnte den Gegner auch so nahe an sich ranlassen, dass er nicht mehr vorbeischießen konnte (das war der Vorteil daran, dass der Gegner keine Fernwaffe hatte), aber dann würde die Explosion mit Sicherheit auch ihn selbst mit erwischen. Und hatte er vorbeigeschossen oder baute er sonst irgendeinen Mist, dann kappte ihm der artistische Kerl mit Sicherheit mit einem einzigen Hieb den Oberkörper vom Becken und posierte sich anschließend in ausgeführter Schlagstellung mitten hinein in den diesjährigen Photo of the Year -Award.
Es war zu spät für Panik.
Hiob hatte geglaubt, sich diesmal durch die Wahl der Waffen so gut vorbereitet zu haben, dass nichts mehr schieflaufen konnte, dass alle variierenden Überlegungen vor Ort einfach entfielen. Das war natürlich ein Fehler gewesen, einer seiner üblichen hochtrabenden Die-Vielfältigkeit-der-Realität-außen-vor-lass-Fehler, eine In-der-Theorie-sieht-es-so-gut-aus-also-zwingen-wir-der-Wirklichkeit-einfach-meinen-Plan-auf-Vermessenheit-genau-wie-am-Heiligabend, als er für alles gerüstet war, nur nicht für das Aufkreuzen einer Familie.
Scheiße, hatte er damals hinterher mit sich gehadert und sich die Haare gerauft und sich über gute Vorsätze ins neue Jahr gesoffen. Wie er sich mal hingesetzt hatte und sich auseinandergedröselt hatte, wie viele seiner elf sakrosankten Punkte eigentlich auf puren Dusel gegründet waren oder auf das unnennbare Talent, einen umkippenden Eimer Gülle wieder aufzustellen, ohne dass die Flecken auf dem teuren Teppich allzu sehr augenfällig wurden. Irgendwie klang ihm noch im Ohr, dass irgendjemand, wahrscheinlich Widder, mal zu ihm gesagt hatte, dass es gerade diese Unberechenbarkeit war, die ihn über seine Vorspieler erhob. Dass es die Fehler waren, mit denen NuNdUuN nicht rechnete.
Und auch nicht ein ritualgestählter, blutrauschamokschwertschneidender Killersamurai.
Hiob schloss die Augen, verwackelte kurz die Schussposition, konnte ein Grinsen nicht mehr unterdrücken, zog den Abzug durch und traf. Es war Zen-Buddhismus pur. Wenn es nicht das Ziel selbst ist, das den Pfeil findet, wird dein Pfeil ohnehin nie treffen. Wer sucht und sich müht, findet nur Suche und Mühe, sonst nichts. Im Nichts liegt der Schlüssel. Hiob Montag, seines Zeichens Rundauge und Langnase, hatte auf einer ganz instinktiven Ebene, innerhalb von Sekundenfragmenten, begriffen, dass es keinen anderen Weg gab.
Zumindest nicht hier, im Land der aufgehenden Sonne.
Denjiro Murakami wurde vors Schlüsselbein getroffen. Die Detonation der Granate verwandelte seine Stirnplattentrophäen in gesprenkelte Disken, die ausglühend bis zu zweihundert Meter weit über Hausdachlandschaften davonsirrten. Hiob flogen die Mikadosplitter seines ehemaligen Abschussrohrs um die Ohren, während von vorne die
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