Historical Lords & Ladies Band 38
Freund betrachtete. Man musste ihn nur mit freundlicher Vorsicht behandeln. Oder doch besser mit vorsichtiger Freundlichkeit?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis.
„… du erwachst, sie steht neben deinem Bett und starrt dich an. Ihre kalten Hände berühren dein Gesicht.“
James Langdons Grabesstimme und die folgenden Schreckensschreie rissen Sarah aus ihren Gedanken. Hoffentlich hatte es niemand bemerkt.
„Na, ich weiß nicht“, meinte Devenham skeptisch. „Warum sind diese Damen eigentlich immer grau oder weiß gekleidet und nicht scharlachrot oder grün?“
„Weil es Geister sind“, unterbrach Julia ihn lachend. Sarah fiel auf, dass ihre Freundin ganz blass geworden war.
Auch Devenham musste es gesehen haben. Er war ausgesprochen nett. Kein Wunder, dass Julia ihn mochte. Er hatte eine freundliche, fröhliche Art; seine lachenden blauen Augen waren weniger beunruhigend als die Ravensdenes.
„Sie sind sehr still, Miss Lynley.“ Ravensdene lächelte ihr zu, als sie beim Klang seiner Stimme aufschreckte. „Interessieren Gespenster Sie nicht, oder sind auch Sie der Dekadenz des Augenblicks erlegen?“
Sarah errötete, als alle zu ihr herüberschauten. „Ich glaube, Lord Devenham hat recht“, sagte sie nach kurzem Zögern. „Anscheinend sehen Gespenster immer gleich aus: Männer treten entweder als schwarz gekleidete Mönche oder weiße Reiter in Erscheinung.“
„Sarah, du machst mir Angst.“ Sophie erschauderte theatralisch und blickte auf das zerfallene Gemäuer, als erwartete sie, gleich eine dunkle Gestalt zu sehen.
„Soviel ich weiß, hatten die Mönche das Kloster schon lange, bevor es zur Ruine verfiel, verlassen“, beruhigte Sarah sie.
„Abgesehen davon“, fügte Harry Marsham hinzu, „haben Mönche unter ihren schwarzen Kapuzen kein Gesicht.“
Das hatte noch mehr erschreckte Rufe zur Folge.
Ravensdene schmunzelte. „Wenn Sie auf Gespensterjagd gehen wollen, sollten Sie sich beeilen.“ Er deutete auf die länger werdenden Schatten. „Es wird nicht ewig hell bleiben.“
„Tatsächlich.“ Miss Sherington sprang auf und sah Ravensdene herausfordernd an. „Wollen wir in der ehemaligen Krypta beginnen, Mylord?“
„Vielleicht sollten wir erst alles zusammenpacken.“ Julia deutete auf die verstreuten Essensreste.
„Sehr richtig.“ Devenham betrachtete einige Ameisen, die sich über die Krumen hermachten. „Wilde Tiere sind im Anmarsch.“
Harry Marsham wies auf einen grasbedeckten Hügel, auf dem ein einsamer Reiter stand und sie anscheinend beobachtete. „Verdammt unhöflich, uns einfach zu stören.“
„Er wird sich fragen, wer wir sind“, meinte James. „Ich kann das Pferd nicht erkennen. Du, Eliza?“
„Ach, lasst ihn doch!“, unterbrach Sophie ihn ungeduldig. „Das ist frei zugängliches Gelände. Er reitet außerdem gerade weg. Sarah, macht es dir etwas aus, hier aufzuräumen? Ich weiß, du bist viel zu sensibel und zu alt, um an Geister zu glauben.“
„Also wirklich, Sophie …“
„Nein, es macht mir gar nichts aus“, versicherte Sarah ungeachtet Julias empörtem Tadel. In einer dunklen Krypta herumzukriechen war das Letzte, was sie wollte. „Geht nur und sucht eure Gespenster. Ich bleibe hier.“
„Aber …“
„Keine Sorge, Miss Wribbonhall.“ Ravensdenes ruhiger Ton erstickte den aufkommenden Protest. „Ich werde Miss Lynley Gesellschaft leisten.“
Sarah musste zugeben, dass seine überzeugende Art äußerst wirkungsvoll war. Folgsam begaben sich die anderen zu den Ruinen. Es befriedigte sie, dass Sophie Sherington mit ihren eigenen Waffen geschlagen worden war.
Sie hatte ähnlich empfunden, als die Versuche der Smisby-Schwestern, seine Aufmerksamkeit zu erregen, gescheitert waren.
„Sagen Sie, Miss Lynley. Wie alt sind Sie eigentlich?“
„Zweiundzwanzig, Mylord. Warum?“
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er begann, Teller und Gläser einzusammeln. „Wenn man Miss Sherington reden hört, könnte man meinen, Sie seien bereits senil.“
Sie lachte und beugte sich vor, um ihm zu helfen. „Sophie ist gerade erst siebzehn geworden, für sie bin ich es wahrscheinlich.“ Sie war plötzlich unglaublich glücklich. Ihre Ängste erschienen ihr auf einmal lächerlich.
Nach einer Weile schaute sie versonnen zu der Stelle hinüber, wo der einsame Reiter gestanden hatte. Das Bild von Sir Ponsonby Freem drängte sich ihr auf. Hoffentlich hatte er ihrem Onkel keinen Besuch abgestattet und war ihnen gefolgt, nachdem er erfahren hatte,
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