Historical Saison Band 09
Harriet nicht. Hinzu kam, dass sie es zwar vorgezogen hätte, sich eine andere Unterkunft zu suchen. Doch wohin sollte sie sich wenden? Sie hatte, von Lady Myers und Harriet einmal abgesehen, keine Freunde in London. Selbst wenn sie die Stadt verließ, konnte sie sich höchstens noch einmal an ihren Onkel väterlicherseits wenden. Der allerdings hatte seine Einstellung ihr gegenüber schon mehr als deutlich gemacht.
Um sich in Ruhe noch einmal alle Möglichkeiten durch den Kopf gehen zu lassen, zog Sophie sich auf ihr Zimmer zurück. Doch als sie an ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte und das weiße unbeschriebene Blatt Papier sah, das schon seit einiger Zeit dort lag, überkam sie plötzlich der Wunsch zu schreiben. Sie tauchte die Feder in die Tinte und formulierte ein wenig mühsam die ersten Sätze. Eine Weile starrte sie auf die säuberlich geschriebenen Worte. Und plötzlich schien ein Damm zu brechen. Wie von selbst floss ihr jetzt Abschnitt um Abschnitt aus der Feder.
Drei Stunden später, als Rose kam, um ihr beim Umkleiden fürs Dinner zur Hand zu gehen, waren ihre Finger steif vom Halten der Feder. Sophie bewegte sie vorsichtig, bis sie sich wieder normal anfühlten. Dann ließ sie sich von Rose in ein einfach geschnittenes blaues Kleid helfen. Nachdem das Mädchen ihr auch das Haar gerichtet hatte, begab sie sich nach unten, wo sie erleichtert feststellte, dass der Duke nicht daheim war.
„James bleibt, wenn der Prinzregent ihn erst spät aus seinen Pflichten entlässt, häufig über Nacht im Carlton House“, sagte Harriet, als sie mit Sophie ins Speisezimmer trat. „Leider ist das in den letzten Wochen viel zu oft vorgekommen. Im nächsten Monat wird der russische Zar zu einem Staatsbesuch erwartet. Da Prinny fest entschlossen ist, jeden nur möglichen Prunk zu entfalten, um seinen hohen Gast zu beeindrucken, wird James bald womöglich kaum noch nach Hause kommen können. Aber ich bin sicher, dass wir beide uns auch ohne ihn gut amüsieren werden. Ich habe übrigens beschlossen, Ihnen zu Ehren einen Ball zu geben. Wir wollen Ihr Debüt feiern.“
„O bitte, tun Sie das nicht!“, rief Sophie. „Ich bin keine Debütantin. Sie wissen doch, dass ich meinem Vater lange den Haushalt geführt und stets als Gastgeberin fungiert habe, wenn er Besuch empfing.“
„Das ist etwas ganz anderes“, befand Harriet. „Erstens war es in Italien und zweitens …“
„Bitte“, unterbrach Sophie sie, „ich weiß Ihre Großzügigkeit zu schätzen. Aber ich möchte nicht, dass Sie sich meinetwegen in Unkosten stürzen.“
„Sie dürfen nicht vergessen, dass die Mitglieder der guten Gesellschaft sehr genau beobachten, was mein Bruder tut. Jedermann weiß, wie wohlhabend der Duke of Belfont ist. Man würde sich den Mund darüber zerreißen, wenn er Ihnen zuliebe keinen Ball gäbe. Im Übrigen haben Sie etwas Spaß verdient nach allem, was Sie fü…“ Harriet schloss abrupt den Mund, als ihr klar wurde, dass sie im Begriff gewesen war, Sophies Vater zu kritisieren. Etwas lahm schloss sie: „Also gestatten Sie mir, um den guten Ruf meines Bruders zu wahren, einen Ball für Sie auszurichten!“
„Ich fürchte, er wird damit nicht einverstanden sein.“
„Unsinn! Am liebsten würde ich gleich nach dem Dinner gemeinsam mit Ihnen die Gästeliste aufstellen.“
Der Duke war bis spät in die Nacht im Carlton House beschäftigt gewesen. Zum einen hatte Prinny ihn beauftragt, ein Sicherheitskonzept für den Zaren zu erarbeiten. Zum anderen hatte er die Aufgabe zugeteilt bekommen, die Lieferanten und Handwerker zu überwachen, die in der Residenz des Prinzregenten zu tun hatten. Das bedeutete, dass er nicht nur die Männer, sondern auch alles, was sie hereinbrachten, untersuchen musste. Himmel, wie er das hasste!
Endlich – es war bereits mehrere Stunden nach Mitternacht – wurde ihm gestattet, sich zurückzuziehen. Normalerweise hätte er sich umgehend in das kleine Zimmer begeben, dass der Regent ihm in Carlton House zur Verfügung stellte. In dieser Nacht jedoch verspürte er das dringende Bedürfnis, der Atmosphäre des Palastes zu entkommen. Daher beschloss er, zu Fuß nach Hause zu gehen und am nächsten Morgen mit Harriet und Sophie zu frühstücken.
Sophie … Er hatte in den letzten Tagen oft an sie gedacht und war längst zu dem Schluss gekommen, dass sie eine äußerst ungewöhnliche junge Dame war: intelligent, selbstständig und ohne die nervenaufreibende Schüchternheit der meisten
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