Historical Weihnachtsband 1991
bemerken konnte, wie tief getroffen sie war.
Matthew entsprach wortlos ihrem Wunsch, wendete die Pferde und ließ sie den Weg zurück in die Stadt einschlagen. Dann verlor er sich von neuem in Erinnerungen. Im Vorbeifahren erwähnte er etwa, daß sie hier ein Picknick gehabt hätten und sie ein rosa Band im Haar getragen habe. Ein schmaler Weg führte zu den Ruinen eines Normannenkastells. Matthew erinnerte Angelica daran, daß sie einander dort ihre Liebe gestanden hatten. Am Straßenrand erhob sich eine hohe Eiche, an deren kahlen Ästen schwere Mistelbüschel wuchsen. Hier, sagte Matthew, hätten sie sich zum erstenmal geküßt.
Es hätte all dieser Hinweise nicht bedurft, denn jene Ereignisse hatten sich unauslöschlich in Angelicas Denken eingebrannt. Immer, wenn sie hier vorbeigekommen war, war die Erinnerung übermächtig und marternd in ihr aufgestiegen.
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Vor Angelicas Haus brachte Matthew Thornton den Schlitten zum Stehen, halfterte die Pferde an den dafür bestimmten Mauerring und legte ihnen Decken über die Rücken. Daran erkannte Angelica, daß er erwartete, von ihr hineingebeten zu werden. Es fiel ihr so schnell keine annehmbare Ausrede ein, und so traten sie gemeinsam in die Diele.
Feggy kam herbeigeeilt und nahm ihnen die Umhänge ab. „Sie müssen ganz schnell in den kleinen Salon kommen", sagte sie so aufgeregt, wie Angelica es noch nie bei ihr erlebt hatte. „So etwas haben Sie noch nicht gesehen."
„Was ist denn?" fragte Angelica besorgt. „Ist etwas geschehen?"
Peggy rannte ihnen schon voraus und rief: „Schnell, Mrs. Hamilton, beeilen Sie sich!"
Angelica und Matthew folgten ihr und vernahmen sofort die lauten Stimmen unverkennbar erregter Männer. Als sie in den Salon auf der Rückseite des Hauses traten, saßen alle Bewohner in einem Halbkreis, nur Jerome Keenan und ein Fremder standen vor dem Kamin.
Jerome war zwar noch bleich, aber er musterte überzeugend zornig und unter finster gefurchten Brauen den anderen, der plötzlich sichtlich erregt auf und ab schritt und losdonnerte: „Sehen Sie mich doch an, Sir Reginald! Mache ich etwa den Eindruck eines gebrochenen Mannes? Ich denke doch, nein. Im Gegenteil. Vor Ihnen steht heute einer, der dieser Welt sein Zeichen eingebrannt hat."
„Vor mir steht ein Schurke", rief Jerome schneidend. „Einer, der mir meine einzige Tochter rauben will."
„Was in aller Welt geht hier bloß vor?" stieß Angelica hervor.
Die beiden jungen Männer wandten sich ruckartig zu ihr herum. Sofort erhellten sich die verzerrten Gesichter, und Jerome sagte: „Darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen, Mr. Frank Lamont, Mrs. Hamilton?"
Lamont verbeugte sich tief. „Ich bin entzückt, Mrs. Hamilton."
Ziemlich verunsichert schaute sie von einem zum anderen. „Warum streiten Sie denn? Und was soll der Unsinn von geraubten Töchtern?"
Frank Lamont lachte. Selbst Jerome Keenan brachte ein Lächeln zustande, auch wenn er sonst noch ziemlich schwach schien.
„Es ist eine Szene aus einem Stück, in dem wir vergangenen Sommer beide gespielt haben. Es war der Erfolg der Saison."
Damit sank Jerome in den nächsten Sessel. Cecilia brachte ihm eine Tasse Tee. „Frank sagt, daß man mich in seinem Ensemble brauchen könne.
Damit habe ich ein neues Engagement. Und um das zu feiern, geben wir erst einmal unseren neuen Freunden hier eine kleine Vorstellung."
Aus dem Hintergrund ließ sich Quinton Keyes' weinerliche Stimme lebhaft vernehmen: „Ida, ich meine, Miss Lunt und ich haben zugesagt, eine der Aufführungen zu besuchen."
„Aber erst, wenn es wieder wärmer ist", wandte Miss Lunt ein. „Wir haben beide eine schwache Gesundheit und können uns nicht allzu sehr der Kälte aussetzen."
„Natürlich", beeilte er sich zu versichern. „Ich bin ganz genau derselben Meinung, meine Liebe."
Inzwischen hatte Zenobia Neville Mr. Lamont eine Tasse Tee gebracht. Nach dem heftigen Erröten des Mädchens und dem breiten Grinsen des jungen Schauspielers zu schließen, konnte man annehmen, daß ihnen ein ähnliches Geschick zugestoßen war wie zuvor Cecilia und Jerome Keenan. Angelica ertappte sich dabei, daß sie das Pärchen anstarrte, und wandte schnell den Blick ab.
„Mr. Lamont war von meinen Handarbeiten höchst angetan", mischte sich nun auch Blanche Hart ins Gespräch, bevor es ganz ins Stocken geraten konnte. „Er meint, ich könne vielleicht einige Kostüme für seine Truppe nähen."
„Kunststück, meine Frau ist auch eine wahre Künstlerin mit
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