Hoellenengel
darauf.«
»Was für ein Quatsch«, sagte Víkingur.
»Ich kenne Trunkenbolde, die Unmengen vertragen
können.«
»Ja, die Ausnahme bestätigt die Regel«, sagte der
ehemalige Polizeipräsident, wie immer, wenn er auf eine
Lücke in seiner Argumentation aufmerksam gemacht wurde.
»Wahrscheinlich bin ich so ein Informationsschluckspecht. Ich
weiß leider alles Mögliche und Unmögliche. Was
würde ich mir wünschen, nicht so viel zu wissen. Das war
allerdings nicht der Grund, weshalb ich dich bat, bei mir
vorbeizuschauen. Sag mir, wie geht es dir?«
»Meinst du den Þingvellir-Fall oder einfach so
generell?«
»Beides.«
»Es gibt keine eindeutige Spur, die wir verfolgen
können. Die meisten Mordfälle lösen sich eigentlich
von selbst, sobald man beginnt, sie zu untersuchen, weil sie in
einem Anfall von Raserei begangen wurden. Das hier ist anders. Es
erinnert mehr an schauerliche Hinrichtungen als an Mord. So wie es
zurzeit steht, haben wir keinen Verdacht, warum diese Männer
ermordet wurden. Wenn wir das herausfinden, glaube ich, finden wir
auch denjenigen oder diejenigen, die dort am Werk
waren.«
»Habt ihr irgendwelche Hinweise bekommen?«
»Nein, das kann man so nicht sagen. Wir wollen uns aber die
wichtigsten Konkurrenten in der Pornobranche ansehen. Du erinnerst
dich an Guðfinnur Bertholds?«
Lúðvík verzog seinen Mund zur Andeutung eines
Lächelns, als er sagte: »Irgendetwas sagt mir der Name.
Schließlich ist es weniger als ein Jahr her, dass ich
aufgehört habe, und ich bin noch nicht vollkommen gaga, auch
wenn ich selbstverständlich auf einem guten Weg bin, es zu
werden.«
»Ja, natürlich erinnerst du dich an ihn. Elli und er
waren bis vor zwei Jahren dicke Freunde. Sie waren unzertrennlich.
Dann ist etwas passiert und fortan waren sie wie Hund und Katze.
Wir müssen noch herausfinden, was das Ende der Freundschaft
verursachte.«
»Vielerlei Gründe können zu so einer Hinrichtung
führen, auch wenn letztlich vielleicht ein bestimmter Aspekt
der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen
bringt.«
»Kriminologen sprechen von sechs Hauptmotiven für Morde.
Auf die Schnelle würde ich sagen, dass vier von diesen infrage
kommen könnten: Wut, Angst, Gier und Rache.«
»Und die beiden anderen?«
»Begierde und Eifersucht«, sagte Víkingur.
»Ich halte es für unwahrscheinlich, dass jemand diese
drei Männer aus Eifersucht oder einer Art sexueller Begierde
getötet haben soll.«
»Was ist mit dem Pfählen? Dem Besenstiel?«
»Besenstiel? Wie kommst du darauf? Ich habe noch keine
Obduktionsergebnisse bekommen.«
»Man erfährt alles Mögliche«, sagte
Lúðvík. »Ich habe mich eben kurz bei
Þórhildur gemeldet und es kann sein, dass sie das
vertraulich erwähnte.«
»Ich glaube, das Pfählen war nicht das Ziel, auch wenn
es darauf hinweist, dass derjenige, der es getan hat, von einer Art
Sadismus erfüllt ist. Die Worte, die mir als Erstes in den
Sinn kamen, als ich das sah, waren Grausamkeit und Hass. Man
braucht viel Grausamkeit, um Menschen so zuzurichten oder
bodenlosen Hass.«
»Können wir dann nicht Gier als Motiv
vernachlässigen?«, fragte Lúðvík.
»Dann wären nur noch drei Motive
übrig.«
»Ich schließe kein Motiv von vornherein aus«,
sagte Víkingur. »Abgesehen davon ist denjenigen, die
so etwas tun, in den seltensten Fällen bewusst, dass die
Kriminologie nur sechs anerkannte Motive vorsieht. Und dann
dürfen wir auch nicht vergessen, dass Morde, sofern sie nicht
von Auftragskillern ausgeführt werden, meistens von Menschen
verübt werden, die nicht mal ein Fahrzeug steuern
könnten, geschweige denn sich selbst. Trotzdem glaube ich,
dass diese Tat nicht im Rausch begangen wurde. Es ist eine
Heidenarbeit, drei Männer auf diese Weise zu Tode zu martern,
abgesehen davon, sie in das Sommerhaus zu bringen und dafür zu
sorgen, dass keiner entwischt.«
»Glück?«, fragte Lúðvík.
»Narrenglück wenn man in diesem Zusammenhang von
Glück sprechen darf?«
»Nein«, sagte Víkingur. »Es gibt noch
andere Aspekte.« Er griff in seine Jackentasche und zog
einige zusammengefaltete Blätter heraus. »Schau dir das
mal an.« Neben Fotos vom Tatort waren es auch die Bilder aus
Holland.
»Ach, ich muss meine Lesebrille suchen«, sagte
Lúðvík und wollte aufstehen.
»Kannst du nicht die Brille benutzen, die du auf der Stirn
hast?«, fragte Víkingur.
»So ist das, wenn man alt wird«, sagte
Lúðvík, schob die Brille herunter auf seine Nase
und begann,
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