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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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heute Morgen war deine Lektion. Du musst sie möglichst rasch lernen, denn sie wird sich wiederholen. Besser, du bist darauf vorbereitet.“
    „Findest du nicht, dass das ein wenig zu simpel klingt?“, begehrte Deborah auf. Sie fand, dass ihr Problem doch ein wenig Mehrwert besaß. Marlenes Erklärung gefiel ihr nicht, vor allem fühlte sie sich von ihr nicht richtig ernst genommen.
    Marlene schien auch gar nicht erwartet zu haben, dass Deborah ihr beipflichtete. Im Gegenteil: Sie vermittelte den Eindruck, als ob sie sich über Deborahs Reaktion freute. Sie gab sich wieder ganz als französische Grande Dame, während sie ihr zustimmte: “Alors, du hast natürlich Recht, Chérie. Ganz so einfach ist es tatsächlich nicht. Wir leben in schlimmen Zeiten. Es ist Krieg. Und wir führen ihn nicht nur gegen fremde Länder, sondern auch im eigenen Land.“ Marlene hielt kurz inne und sah sich aufmerksam um, als fürchtete sie ungebetene Lauscher, aber es befand sich niemand in ihrer unmittelbaren Nähe. Die nächsten Spaziergänger waren ihnen mindestens fünfzig Meter voraus und hinter ihnen auf dem Weg war ebenfalls weit und breit niemand zu sehen. Trotzdem zögerte sie, weiterzusprechen, als müsste sie sich zu einem Entschluss durchringen.
    Schließlich griff sie nach Deborahs Arm und steuerte neuerlich eine Bank an. „Komm, setzen wir uns nochmals. Zunächst … stimmt es, dass du jüdischer Abstammung bist?“ Die Frage traf Deborah völlig unvorbereitet - ihr beredter Gesichtsausdruck war Marlene Antwort genug.
    „Also doch. Keine Angst, diese Information ist bei mir gut aufgehoben.“
    „Aber woher weißt du …?“, war alles, was Deborah hervorbrachte. Albrecht hatte sie beim Leben ihres kleinen Bruders Wolfgang schwören lassen, es niemandem zu verraten.
    „Brigitte Frank erzählt es herum, dann weiß es bald die ganze Stadt. Sie ist eine dumme Gans und sie ist eifersüchtig auf dich. Ihr sind die Blicke, die ihr Mann dir zugeworfen hat, nicht entgangen. Du musst aufpassen. Am besten, du gehst auf keine ihrer Einladungen mehr, dann vergisst sie dich vielleicht. Aber auf was ich eigentlich hinauswill, ist, wie gefährlich es ist, in diesen Zeiten als Jude geboren zu sein. Wenn du heute Jude bist, dann ist das dein Todesurteil, nicht mehr und nicht weniger. Daher musst du besonders vorsichtig sein. Provoziere deinen Geliebten nicht.“
    „Ich bin keine geborene Jüdin. Nur mein Vater war Jude“, wehrte sich Deborah, die die Wendung des Gespräches sichtlich ängstigte. Deshalb fiel ihr nicht auf, dass sie von ihrem Vater erstmalig in der Vergangenheit gesprochen hatte. Dabei hatte sie sich geschworen, dies niemals zu tun.
    „Du bist Halbjüdin, gemischtrassig, ich weiß. Aber gemäß den Nürnberger Rassegesetzen wirst du als volljüdisch behandelt. Albrecht ist der Einzige, der zwischen dir und dem Gesetz steht. Er ist dein einziger Schutz. Verstehst du, was das für dich bedeutet?“ Marlenes Stimme hatte mehr und mehr beschwörend geklungen. Sie hielt jetzt inne. Ihr waren die widersprüchlichen Emotionen, die sich auf Deborahs Gesicht abzeichneten, nicht entgangen. Sie reichten von Ungläubigkeit über Wut bis hin zu der Erkenntnis, dass Marlene womöglich Recht hatte - und welche Folgen sich für sie daraus ergaben.
    Deborah hatte sich von ihrer Freundin abgewandt - vielleicht, weil sie deren prüfendem Blick nicht länger standhalten konnte. Mit geballten Fäusten starrte sie den Baum neben ihr an, als wollte sie auf ihn einschlagen. Tatsächlich sehnte sich Deborah nach körperlichen Schmerzen, um von ihren seelischen Qualen abgelenkt zu werden. „Das bedeutet, ich bin Albrecht mit Haut und Haaren ausgeliefert“, sagte sie jetzt dumpf. Sie hatte zwar bereits zuvor ähnliche Überlegungen gewälzt, allerdings mit dem Unterschied, dass sie da noch geglaubt hatte, eine Wahl zu haben. Die brutale Wirklichkeit hatte sie eingeholt und traf sie wie ein Schlag. Sie war im Grunde nicht mehr wert als eine Sklavin. Rechtlos und schutzlos. Sie war wie Osman für Albrecht: Wenn er wollte, konnte er ihr die Zunge herausschneiden.
    Marlene berührte sie sanft am Kinn. „Ich weiß, es ist schwer. Es sind gefährliche Zeiten und wir zwei haben uns mit gefährlichen Männern eingelassen. Und gefährliche Zeiten sind immer auch böse Zeiten, weil sie von bösen Männern regiert werden . Wir müssen versuchen, darin irgendwie zu überleben - so lange es dauert. Ich werde dir dabei helfen. Einverstanden, ma

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