Honigtot (German Edition)
wollte sie daran hindern, aber sie sind zu mehreren über ihn hergefallen und haben ihn geschlagen. Herr Gerlich hat noch gerufen: Mich schlagen? Mich, einen Gründer der Vaterlandsbewegung ? Sie haben ihn mitgenommen. Furchtbar, einfach furchtbar. Diese neuen rohen Sitten, wo soll das alles noch hinführen?“ Er nahm seine Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel. Dabei schüttelte der alte Zeitungsmann seinen Kopf, noch immer aufgewühlt von den unbegreiflichen Vorkommnissen.
Gustav brachte nicht mehr als ein Nicken zustande. Die Erkenntnis, dass der Krieg gegen die Freiheit endgültig und unaufhaltsam begonnen hatte, fuhr ihm durch alle Glieder.
Er wusste, heute, an diesem Ort, war die Wahrheit gestorben. Das Ungeheuer der Diktatur hatte sein Haupt erhoben.
Man schrieb Donnerstag, den 09. März 1933, der Tag der Machtübernahme in Bayern durch den neuen Reichskommissar Franz Ritter von Epp.
Gleichzeitig war es auch der Tag der letzten Ausgabe der Zeitung „Der gerade Weg – Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht“. Das Recht auf Wahrheit gab es nicht mehr. Die Nationalsozialisten hatten in derselben Stunde begonnen, offene Rechnungen mit brutaler Münze zu begleichen.
Der unerschrockene Journalist Fritz Gerlich wurde eines ihrer ersten Opfer.
Aber nicht einmal mehr Meyerlinck & Co., wie die Kanzlei jetzt firmierte - der kluge Finkelstein hatte es vorgezogen, hinter dem Co. zu verschwinden -, konnte nunmehr etwas für Gerlich ausrichten. Das Einzige, das sie über ihn noch in Erfahrung bringen konnten, war, dass er in das Polizeigefängnis in der Ettstraße und später nach Stadelheim verbracht worden war. Besuche waren keine erlaubt.
Der Doktor hat ihn niemals wiedergesehen.
An jenem verhängnisvollen Tag sperrte sich Magda in ihrem Zimmer ein und tauchte erst am nächsten Tag mit rot geweinten Augen wieder auf.
Und Gustav sagte zu Elisabeth: „Sieh einmal einer an. Mut ist also der Schlüssel zu Magdas Herzen. Und Mut, meine liebste Elisabeth, ist die Waffe, die der braune Feind am meisten fürchten muss und auch tatsächlich fürchtet. Es sind die Standhaften und die Aufrechten, so wie unser Freund Fritz, die sich unerschrocken dem Sturm der unrechten Ideologie entgegenstellen.“
Am 06. Mai 1933 fand die erste Bücherverbrennung in München statt, am 10. Mai geschah das Gleiche in der Reichshauptstadt Berlin.
Die Bücher all jener Autoren, die, gebunden in edles Saffianleder, auch in Gustavs Bibliothek zu finden waren, darunter die von Heinrich Mann und seinem Bruder und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, von Heinrich Heine und Kurt Tucholsky, fanden den Flammentod.
Und Gustav sagte zu Elisabeth, indem er Heine zitierte: „Die, die Bücher verbrennen, verbrennen auch bald Menschen“, und er sperrte sich in seiner Bibliothek ein, um seine Tränen vor Elisabeth zu verbergen.
* * * * *
Erst viel später erfuhr Gustav, dass sein Freund Fritz Gerlich fast sechzehn lange Monate Verhören, Willkür und Folter ausgesetzt war, aber sich selbst, seinem Glauben und seinen Überzeugungen bis zum Schluss treu geblieben war.
Am 31. Juni 1934 befahl Hitler die Eliminierung aller politischen Gegner und Kritiker. Bereits zwei Tage später ermordeten SS-Schergen in einem beispiellosen, brutalen Akt den ehemaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher und seine Frau, den früheren bayerischen Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr, Hitlers Gegner beim 1923er-Putsch, und den Journalisten Fritz Gerlich. Er wurde im ersten Konzentrationslager Deutschlands, in Dachau bei München, erschossen.
Der Journalist Gerlich hatte seinen unbeugsamen Mut am Ende mit dem Leben bezahlt.
Hitlers feigem Racheakt waren über zweihundert Menschen zum Opfer gefallen - eine deutliche Botschaft an alle Andersdenkenden. Er ging als Nacht der langen Messer in die Geschichte ein.
Am Abend meinte Gustav zu Elisabeth, nachdem ihm Fritz' Frau Sophie die Todesnachricht überbrachte hatte: „Fritz hatte mit allem Recht, was er gesagt hat, weißt du? Und zwar vom ersten Tag an. Er hat mit seiner Klugheit und seinem Scharfsinn alles vorausgesehen. Es ist mehr als tragisch, dass die Nazis mit dem Mord an ihm genau das bestätigt haben, wovor er immer gewarnt und wogegen er seit zehn Jahren gekämpft hat. Nämlich, dass sie Ungeheuer sind, fanatisch, rechtlos und ohne Moral, und dass sie niemals einen Rechtsstaat bilden, sondern eine tödliche Diktatur etablieren werden. Fritz war Zeuge der Anklage und
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