Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
seine linke Hand auf, den Knopf in der Hosentasche zu drücken – den Knopf, der die drei Kilogramm Sprengstoff zünden würde, die er wie eine Panzerplatte vor der Brust trug. Wäre er dicht genug herangekommen, so hätte er mit dieser Waffe die Thronfolgerin getötet; da man ihn abgefangen hatte, wollte er nun die Sicherheitsvorkehrung treffen, die sein Leben und das eines halben Dutzends anderer Menschen beendet hätte – womöglich auch das der Thronfolgerin. Vor allem aber hätte er durch seine Selbstsprengung mit Sicherheit jeden Nachweis unmöglich gemacht, dass er auf seine Rolle justiert worden war.
Doch so unwiderstehlich seine Programmierung auch sein mochte, ein acht Kilogramm schwerer, mit Krummsäbelkrallen bewaffneter Baumkater war darin nicht vorgesehen. Schmerzen und Schock waren zu stark, als dass er sie hätte ignorieren können, und so hieb der Leere mit der linken Faust panisch auf das Ungeheuer ein, das ihm wütend den rechten Arm zerfetzte. Seine Gegenwehr war eine reine Instinkthandlung, so reflexartig wie das Atmen, und sie war so stark, dass sie alle Befehle übertönte, die jemand anders ihm aufgepfropft hatte. Sie raubte ihm gerade genügend Zeit.
Zwei weitere Baumkatzen fielen ihn an, und er schrie vor Schmerzen auf, als das zusätzliche Gewicht ihn zu Boden riss. Die beiden anderen Baumkatzen konzentrierten sich auf seinen linken Arm und trieben als fauchendes, graues Gewimmel schneeweiße Krallen hinein, und er wand und wehrte sich wie von Sinnen. Er konnte nicht wissen, dass sie eins zuallerletzt wollten: ihn töten. Er wusste nur, dass ein Tornado über ihn hereingebrochen war und er nichts tun konnte als panisch zu versuchen, sein Gesicht und seine Augen zu schützen.
Adrienne versuchte verzweifelt, den Baumkater festzuhalten, doch er entwand sich ihren Armen wie ein altirdischer Aal und stürzte fort von ihr, ohne seinen an- und abschwellenden, fürchterlichen Kriegsruf zu unterbrechen. Vergeblich griff sie noch einmal nach ihm und setzte ihm unwillkürlich nach. Allein ihm galt ihre Aufmerksamkeit, auf nichts anderes achtete sie – und war völlig unvorbereitet, als vierundachtzig Kilogramm harte Muskeln und Knochen sich von hinten auf sie warfen.
Als Lieutenant Colonel Tudev sie zu Boden riss, erlitt sie augenblicklich ein Schleudertrauma im Nacken. Er hatte keine Zeit, sanft zu sein; er traf sie mit der Wucht eines Rugbyspielers, der aufs Tor zustürmt, und als ihr Kopf auf den Boden schlug, ward es dunkel um sie.
Traum-Sucher spürte, wie das Geistesleuchten seines Menschen erlosch, und ein Heulen der Trauer und des Entsetzens entwich ihm. Er wandte sich von dem Leeren ab, von dessen Blut er bespritzt war, dessen Blut ihm vom Fell tropfte, und die anderen Menschen – jedenfalls die, die sich nicht schon so weit wie möglich entfernt hatten –, stürzten bei ihren panischen Fluchtversuchen übereinander. Er machte kehrt und eilte so schnell er konnte zu seinem Menschen, heulte dabei seine Furcht heraus; hinter ihm stürzten sich zwei Ranger vom SFD, ein Stadtpolizist aus Twin Forks und zwei Leibwächter der Thronfolgerin auf den jungen Mann, den die Baumkatzen niedergemacht hatten.
Traum-Sucher bemerkte es kaum. Als er seine Person erreichte, hielt er schlitternd inne. Ein anderer Mensch rollte sich gerade von ihrem Rücken – der große, grobknochige Mann, für den Traum-Suchers Mensch solche Zuneigung und solches Vertrauen empfunden hatte –, während sie reglos liegen blieb. Sie blutete an einer Schläfe, und das Blut tränkte ihr das Kraushaar und lief ihr in Bahnen über die dunkle Haut; etwas tief in Traum-Sucher zog sich noch enger zusammen, als er sie so liegen sah. Doch da spürte er wieder ihr Geistesleuchten, schwächer, trüber und gedämpfter zwar, aber eindeutig das ihre. Sie war nur betäubt! Grenzenlose Erleichterung überkam ihn, als er das begriff.
»Tut mir Leid, Kleiner«, brummte Tudev. Heulend war der ‘Kater aus der Verwirrung herangeschossen, wie ein blutgetränktes Gespenst, und wie eine Rakete, die ins Ziel rast, war er zu Adrienne gestürmt. Der Lieutenant Colonel hatte bereits bemerkt, dass er die Thronerbin bewusstlos geschlagen hatte, als er sie zu Boden riss, und er hoffte sehr, nicht noch mehr angerichtet zu haben. Trotzdem waren Prellungen und eine Gehirnerschütterung immer noch besser als eine Schusswunde, und er hatte nicht wissen können, ob der ‘Kater und die ‘Katzen der Ranger die Gefahr rechtzeitig beseitigen
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