Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
entdecken - denn die Andere Seite hat nur wenige wirklich zuverlässige Behandlungen gegen dieses verheerende Leiden, und alle wirken besser, wenn man einen solchen im Anfangsstadium entdeckt - , man würde also meinen, sie könnte ruhig jeden Morgen ein paar Minuten zur Kontrolle aufwenden, Und wenn sie selbst das nicht für sich tun sollte, dann, zum Teufel, kannte ich genug Männer, einschließlich meiner eigenen Person, die das liebend gerne für sie besorgten.
Aber sie setzte mir auseinander, daß diese Art von Veränderung so allmählich vor sich geht, daß man sich an das Wachsen eines kleinen Knotens gewöhnt, wenn man dauernd daran herumfühlt, so daß es einem gar nicht weiter auffällt. Man übersieht die Veränderung viel länger, als wenn sie einen überrascht.
Manchmal ereignen sich wichtige Veränderungen unmittelbar vor unseren Augen, aber wir können sie nicht sehen.
Mir gefiel das nicht. Nichts davon.
»Was ich nicht verstehen kann«, grübelte ich, »warum ausgerechnet sie? Warum wir?«
»Weil wir hier sind?« Ahira zuckte unnötig heftig mit den Achseln, als er die Gurte seines Rucksacks über seinem Kettenhemd festmachte. Er hatte die Gurtschnallen ins äußerste Loch gesteckt, so daß der Rucksack gerade noch auf seinem Rücken hielt.
»So ein Mist«, brummte ich.
»Andrea hat ein paar Andeutungen fallenlassen. Ich vermute, daß sie hierher gezogen wurde. Denk einmal darüber nach.«
Ich erinnerte mich an meinen Besuch in ihrer neuen Werkstatt und an den flüchtigen Ausdruck von Besessenheit, von Zwang, der ihr Gesicht überflogen hatte. Und dann war da noch die Zeit außerhalb von Fenevar, als der Gedanke, Ehvenor den Rücken zu kehren, sie mit Schreck erfüllt hatte.
Ahira zog ein Stück Band unter seinen Rucksackriemen durch, machte einen einfachen Knoten und band dann die beiden vorderen Riemen mit einer Schleife zusammen.
»Von wem angelockt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann mich auch täuschen. Es macht keinen Sinn, sie ist eigentlich zu stark, und wenn jemand versucht, ihren Willen zu brechen, würde sie das nicht kampflos hinnehmen. Wer könnte wohl versuchen, sie derart zu beeinflussen, ohne daß sie im Stande wäre zu widerstehen?« Er hob die Hände. »Vergiß es einfach. Ich treffe mit meinen Einfällen schließlich nicht immer ins Schwarze.«
Mir fiel auch niemand ein. »Also, warum machen wir nicht einfach kehrt und verschwinden?«
Er verzog den Mund und blickte finster drein. »Weil es kaum etwas ausmachen dürfte, was jemand oder etwas anderes will. Die Voraussetzungen sind immer noch dieselben, nur in verstärktem Maße: Seltsame Wesen sind aus Faerie gekommen, und das beginnt sich auf uns und die Menschen, die uns nahestehen, schädlich auszuwirken.« Er warf einen kurzen Blick auf die drei am Lagerfeuer. »Und weil Andrea hineingehen will, egal, ob du und ich damit einverstanden sind, und weil du sie genausowenig allein hineingehen läßt wie ich.«
Nun, einer von uns mußte es ja aussprechen, und er war an der Reihe.
»Dreh dich um«, sagte ich. Als er gehorchte, zog ich einmal kräftig an seinem Rucksack. Er hielt. Zwar sah es weder elegant noch bequem aus, aber es bedeutete, daß der Sack auf seinem Rücken festsaß, er ihn aber trotzdem mit einem schnellen Ruck fallen lassen konnte, sofern das nötig war. »So wird es gehen.«
»Schön.« Er kaute auf seinem Daumennagel und besah den zerfransten Rand. »Wie viele Individuen oder Wesen hast du in das mit hineingezogen, was du nicht verstanden hast?«
»Nun ...« Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Alle, außer mir und dir, und manchmal bin ich mir bei dir nicht ganz sicher.«
Er runzelte ärgerlich die Stirn. »Ich meine magische Individuen oder Wesen.«
Ich hob die Schultern. »Einschließlich Deighton? Viele.« Ich begann, sie an den Fingern aufzuzählen. »Zuerst einmal die Zunft der Hexenmeister. Gilt die als eins, oder zählt jeder Zauberer einzeln? Die Matriarchin, die Leuchtenden Reiter, Boioardo. Dann die Kerle, auf die wir vor ein paar Jahren außerhalb von Endell gestoßen sind. Thelleren, obwohl ich da möglicherweise nur aus Reflex mißtrauisch bin. In bezug auf Henrad bin ich mir nie ganz sicher gewesen, und ...«Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist stark wie wir alle. Ich wüßte eigentlich niemanden, der sie zu irgend etwas zwingen könnte.«
»Keinen Lebenden«, erwiderte er.
Ich beneidete Wolkennen nicht um seinen
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