Hundsleben
kümmern, um Kinder, um Alte. Und er wusste zugleich, dass das
ein Totschlagargument war. Als junger Polizist auf Streife war er in
Messie-Haushalten gelandet, wo allein der Geruch ihn rückwärts aus der Tür geschlagen
hatte. Mit dabei war oft eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Tierschutzvereins
gewesen. Die war durch Kakerlaken gegangen, hatte sich durch die Scheiße unter
den Betten gerobbt, war von Bergen nicht ausgespülter Katzendosen fast
erschlagen worden und hatte Tiere sichergestellt. Arme verwahrloste Kreaturen,
Katzen, die nicht mehr hatten gehen können, weil sie ihr bisheriges Leben
angeleint am Bettpfosten verbracht hatten. Er hatte gekotzt – so wie Felix im
Angesicht der Galgenhunde. Diese Dame hingegen hatte sich immer im Griff
gehabt, getan, was eben getan werden musste. Dabei Humor bewiesen, keine
moralinsaure Theoretikerin, einfach eine zupackende Dame. Sie waren in einem
Haus gewesen, das die Besitzerin komplett lila gestrichen hatte, über die Katzenkackhäufchen
einfach drübergestrichen in diesem Lila. Seither hasste er Lila. Die Dame, an
deren Namen er sich partout nicht mehr erinnerte, hatte die Tiere geborgen, er
die Sozial- und Jugendämter informiert.
Die krassesten Tierschutzfälle waren immer auch mit
Menschenschutz einhergegangen. Entweder jemand hatte echte Menschlichkeit im
Herzen, dann erstreckte sich die auf alle entblößten Kreaturen, die des
Schutzes bedurften. Und wenn nicht, dann quälte er Tiere, Kinder und Alte
gleichermaßen. »Das Problem an vielen Tierschützern ist, dass sie Menschen
nicht mögen«, hatte ihm die Dame damals gesagt, damals hatte er das nicht
wirklich begriffen. Heute schon, und er hatte im Verlauf der Ermittlungen auch
den Eindruck gewonnen, dass Frau Pfaffenbichler Menschen aus ihrem Herzen
verdammt hatte. Sie hatte sich verrannt, aber das alles rechtfertigte den
Vergleich Mensch–Tier einfach nicht. Aber wie hätte er das Sandra Angerer sagen
können?
»Sehen Sie, also ist meine Annahme doch nicht so
abwegig«, sagte Gerhard.
»Doch, ist sie, weil ich keine Hunde erhänge, auch
wenn ich das Tamtam wegen der Köter unerträglich fand.«
»Wann haben Sie Frau Pfaffenbichler denn zuletzt
gesehen?«, mischte sich Evi wieder ein.
»Einen Tag bevor sie nach Berlin fuhr. Ich habe hinter
ihr hergeputzt, als sie ihre Bilder verladen hatte.«
»Und das war, nachdem Sie das Haus durchwühlt
hatten?«, fragte Gerhard.
»Ja, und witzigerweise hatte ich beim Durchwühlen, wie
Sie so schön sagen, den Eindruck, da wäre schon mal jemand vor mir da gewesen. Und
als ich am Aufräumen war, gab es da chaotische Zimmer, in denen ich bei meiner
Suche nach dem Testament nicht mal gewesen bin. Eigentlich ist die Hausherrin
sehr ordentlich.« Sandra Angerer lachte bitter.
»Und das war alles?«
»Nein, Herr Weinzirl, das war nicht alles! Ich habe
nochmals versucht, mit ihr zu reden, aber sie sagte immer nur: ›Kindchen, das
war der Wille der guten alten Agnes.‹ Aus! Äpfel! Amen!«
»Was Sie noch wütender gemacht hat, oder?«
»Weswegen ich diese Viecher erhängt habe? Nein, Herr
Weinzirl, ich war am Dienstag zuletzt da, am Tag ihrer Abreise. Und wie Sie ja
bemerkt haben, funktioniert die Sozialkontrolle hier sehr gut; wenn mich jemand
später am Gut gesehen hätte, dann wäre Ihnen auch das bestimmt berichtet
worden. Auf dem Land entgeht den Menschen niemals, was andere an Verfehlungen
haben, nur bei den eigenen sind sie kulanter.«
»Frau Angerer. Kennen Sie den Sohn von Eicher und
seine Kumpels Beni aus Fronreiten und Luggi von der Wies?«
Nun war sie zum ersten Mal wirklich überrascht. »Den
Sohn vom Eicher kenn ich. Wieso?«
Evi ignorierte die Frage. »Und waren Sie in letzter
Zeit mal in Berlin?«
»Schön wär’s, für Urlaub hab ich weder Zeit noch Geld.
Putzen zahlt sich nicht so sehr aus.«
»Frau Angerer, wo ist Ihr Mann eigentlich?«, fragte
Gerhard.
»Beim Wirt, wie jeden Samstag. Er isst da gleich,
damit ich nichts kochen muss.« Es war das erste Mal, dass etwas Wärme in ihrer
Stimme lag. Sosehr das Leben ihm auch mitspielte, zumindest schien das Ehepaar
zusammenzuhalten. Vielleicht war das ja Weihnachtssentimentalität, aber Gerhard
freute sich darüber. Wenn er schon beziehungsunfähig war, mussten das ja nicht
alle sein.
»Frau Angerer, wo waren Sie in der Nacht von Mittwoch
auf Donnerstag?«, fragte Evi.
»Im Bett, mehr als fünf Stunden bekomm ich nicht in
der Nacht. Die Kleine hat vor allem nachts Krampfanfälle.«
»Und
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