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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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vernünftigen Unterkünften, an so ziemlich allem, was es für menschenwürdige Arbeit braucht. Und wer seinen Knebelvertrag kündigt, muss als Dankeschön auch noch mit einer saftigen Vertragsstrafe rechnen.
    Dass dies alles nicht legal und damit juristisch anfechtbar ist, hilft den Zeitarbeitern wenig: Viele fürchten Arbeitslosigkeit mehr als unwürdige Arbeit. Viele haben nicht die Kraft, nicht das Wissen und schon gar nicht das Kapital, um sich auf juristische Schlachten mit vermögenden Firmen einzulassen.
    Denn der fette Profit landet bei den Zeitarbeits-Irrenhäusern. Sie geben nur einen Bruchteil jener Summen, die sie ihren Auftraggebern abknöpfen, an die Zeitarbeiter weiter. Emanuel Klein hat meist um die 6 Euro pro Stunde bekommen, immer wieder musste er sich privat Geld leihen, obwohl er fleißig malochte.
    Wer der Meinung war, die Sklaverei sei abgeschafft, sollte auf der nächsten Baustelle mal mit einem Zeitarbeiter sprechen. Die Abgründe, die sich da auftun, klaffen tiefer als jede Baugrube.
    Â§ 27 Irrenhaus-Ordnung: Wer den Leiharbeiter mit einem Boxsack vergleicht, der sich schlagen lässt, aber niemals zurückschlägt, übersieht einen wichtigen Unterschied: Der Boxsack ist teurer!
    Der große Paket-Schwindel
    Der Paketbote Reinhard Schädler würde am liebsten gegen die Haustür treten: Mehrfach hat er den Klingelknopf gedrückt. Doch an der Tür rührt sich nichts. »Wo sind die alle?«, fragt er aufgebracht. Die Freisprechanlage antwortet ihm – mit Schweigen. »Heute ist echt eine Katastrophe«, schimpft er. »Das nervt, nervt, nervt!« Er schleppt das Paket zurück zu seinem Wagen. Wie so oft an diesem Tag.
    Starke Nerven braucht ein Zusteller. Und starke Muskeln: Drei bis fünf Tonnen bewegt er im Laufe eines Tages – ein echter Knochenjob. Ein Blick in Reinhard Schädlers Lieferwagen: Der Laderaum ist bis unter die Decke vollgestopft mit über 200 Paketen. Sogar auf dem Beifahrersitz stapeln sie sich hoch.
    Für welchen Arbeitgeber Schädler seine Pakete zustellt, ist nicht zu übersehen: Auf der Rückseite seiner Jacke, im Firmendesign gehalten, steht » DHL «. Mit einem DHL -Wagen fährt er vor, in einem DHL -Zentrum holt er seine Pakete, und seine Tätigkeit entspricht exakt der eines DHL -Zustellers. Und doch: Er ist keiner! Über » DHL « steht auf der Jacke ein Zusatz: »Servicepartner«.
    Ein einziges Wort – ein riesiger Unterschied! Schädler bekommt keine elf Euro pro Stunde (oder mehr), wie ein Post-Mitarbeiter, er muss sich als Mitarbeiter eines Subunternehmens mit weniger als der Hälfte begnügen: Fünf Euro brutto tröpfeln in seine Lohntüte.
    Genauso unwürdig wie dieser Hungerlohn war der Start seines Arbeitsverhältnisses: Schnurstracks, ehe es einen Arbeitsvertrag gab, kommandierte ihn sein Chef an die Zustell-Front. Der Vertrag kam später – und mit ihm eine böse Überraschung: Ȇberstunden werden nicht vergütet«, hieß es dort. Die Arbeitszeit wurde auf »mindestens 40 Stunden« festgelegt. »Mindestens« klang, als wären Überstunden einkalkuliert. So war es! Der Paketbote musste sechs Tage die Woche ranklotzen, zehn bis zwölf Stunden. Mehr als ein Drittel seiner Arbeitszeit stiftete er einem wohltätigen Zweck: in die Tasche seines Arbeitgebers.
    Doch von Dankbarkeit keine Spur! Der Schichtleiter trommelte seine Leute zusammen und tobte: Die Mitarbeiter brächten zu viele Pakete zurück, erfüllten die Vorgaben der Post nicht. Aber was sollten sie tun, wenn sie vor verschlossenen Türen standen? Dem Schichtleiter war das egal. Er drohte mit Rauswurf. Reinhard Schädler ließ sich nicht einschüchtern: Er suchte ein Gespräch mit seinem Chef. Dabei sagte er deutlich, wie er die vielen Überstunden empfand – als Zumutung.
    Der Chef antwortete: »Wir rechnen nicht nach Stunden.«
    Â»Aber ich rechne nach Stunden«, sagte Schädler.
    Â»Den Fehler sollte man nicht machen!«
    Dann tat Schädler etwas Ungeheuerliches: Er dachte laut über einen Betriebsrat nach. Sein Chef zog prompt die Notbremse: »Herr Schädler, wir kommen doch auf keinen Nenner, wir lösen das Arbeitsverhältnis auf.«
    Pech für den Mitarbeiter? Nein, Pech für den Chef! Sein Paketfahrer war in Wirklichkeit ein NDR -Reporter, der undercover als Bote

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