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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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gebührenden Abstand, um die anderen nicht zu stören bei ihrer Klangerzeugung, mischte meine Töne nur den ihren zu. Je weiter ich mich entfernte, desto lauter konnte ich meiner Freude Ausdruck verleihen – schließlich jubelte ich in die Nacht hinein, und es jubelte von fern zurück wie ein anonymes Antworten. Mit wem man sich auch verband, jeder war frei und doch irgendwie eingebunden in diese spontan entstandene musikalische Gemeinschaft. Auch die Nachtgeräusche wurden von uns nun bewusst beantwortet. Ich hatte nur meine Stimme, und ich erinnere mich an ein herrliches Duett mit einem Streichinstrument.
    Viele Besucher machten mit, der Konzertbann war gebrochen, die Trennung von Aufführenden und Publikum hatte sich für diese Nacht ganz von selbst aufgelöst. Sehr viel später, es war weit nach Mitternacht, kamen vereinzelt Musiker und Besucher wieder zurück, fanden sich und waren nun lange stumm. Stockhausen war wie verklärt, selig. Auch er blieb lange ohne Worte, dankte mir später für meinen Waldgesang. Musik sei eben die innigste seelische Verbindung, nicht nur der Menschen, sondern aller Geschöpfe.
    Der Mond verschwand, es wurde dunkel und bald wieder hell, ein neuer heißer Tag kündigte sich an. Wir schliefen in dieser Nacht überhaupt nicht mehr, lehnten an einem Baum im Wald, das Laub war trocken. Wir konnten jetzt einfach nicht in ein Hotelzimmer gehen, in etwas von Menschen Gebautes – wir wollten diesem Einssein mit der Natur noch nachlauschen. Wir sprachen kein Wort miteinander, in solchen Momenten bedurfte es keiner Sprache. Und auch heute gelingt es mir kaum, es in Worte zu fassen, dieses Gefühl, das uns beide umfing – sich im All der Schöpfung aufgehoben zu fühlen.
    Am Folgetag lernten wir nun zunächst das Galeristenehepaar Maeght näher kennen. Sie einte die Liebe zur Kunst, und als Galeristen waren sie stets von Künstlern umschmeichelt, während sie ihrerseits wiederum Sammler umschmeichelten, denn letztlich war das Ziel ja, mit Kunst gute Geschäfte zu machen – das war auch die handfeste, solide Basis ihrer Ehe. Wie jeden Sommer war Joan Miró bei ihnen zu Gast, um seine Jahresedition für die Fondation Maeght in deren Lithografiewerkstatt herzustellen. Wir waren dabei, als er an einem sonnigen Nachmittag seine Vorschläge – Blätter verschiedener Größe – auf dem Terrassenboden ausbreitete.
    Manche Bilder waren wie bei ihm üblich: großflächige, einfache Formen in kindlichen Primärfarben – rot, gelb, blau, dabei geradezu lustig. Es ist erstaunlich, dass uns gegenstandslose Bilder zum Lachen bringen können. Dann gab es einige kleinere Blätter mit zarten, fast ziselierten Linien und komplexen Formgebilden, von Weitem im Detail kaum wahrnehmbar, doch bei näherer Betrachtung von delikater Schönheit. Mich begeisterten besonders diese Bilder, und Stockhausen schlug Miró vor, er solle doch beides miteinander verbinden – das Plakative, auf Anhieb Wahrnehmbare mit dem Detailreichtum, der sich dem Betrachter erst beim genauen Hinsehen eröffnet.
    Während wir noch mit Miró sprachen, bat Aimé Maeght seine Frau Marguerite dazu, um die Bilder für die Galerie auszusuchen. Sie war eine etwa sechzigjährige recht füllige Dame, die mit beiden Beinen im Leben stand, er ein charmanter, wortreicher Gentleman. Die beiden lebten in einer schon lange währenden, erprobten Partnerschaft. Und so stand Madame Maeght nun vor Mirós Bildern und betrachtete sie mit geschultem Blick durch eine dicke Hornbrille mit gewölbten Gläsern. Sie deutete auf drei großflächige Blätter, die zur Seite genommen wurden, man verglich hin und her, und schließlich stand die Wahl fest.
    Ich wagte einzuwenden, dass die zarteren Arbeiten doch auch einmal einen anderen Aspekt Mirós zeigten. Aber Monsieur Maeght sagte lachend, seine Frau habe nun mal ein sicheres Gespür dafür, was sich verkaufen lasse. Sie habe ihre starke Kurzsichtigkeit auch mit den älteren Damen der Pariser Hautevolee gemein, und die sähen eben alle gern schon von Weitem deutlich, was ihre Gatten erstanden hätten. Madame Maeght nahm ihre Brille ab und sagte, ohne die sei sie so blind wie ein Maulwurf. Das alles mit viel Gelächter und ohne den leisesten Selbstzweifel – eine selbstbewusste Frau!
    Stockhausen vermutete später, dass sie sicher das Geld mit in die Ehe gebracht habe und er eher der Kenner sei, dem sie durch ihr Vermögen die Karriere ermöglicht habe. Aber wir wagten natürlich nicht, danach zu fragen.

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