Ich kenne dich
Entlein«-Phase und blieb schön. Die Welt beschmutzte sie nicht: Chloe hätte auch mit dreißig noch eine makellose Haut und feine helle Haare gehabt.
Die Sache ist die: Emma und ich wissen beide, hätte eine von uns sich ertränkt, hätte die Meldung es nicht auf Seite sechs geschafft. Mit vierzehn war Emma mürrisch und farblos und hatte vorstehende Zähne, aber wenn sie mit Chloe und mir zusammen war, lachte sie viel, sodass es gar nicht so auffiel. Ich frage mich, ob sie immer noch Kinder mag. Ich weiß, der Job in der Rettungsstation, wo sie die Hunde füttert und die Zwinger reinigt, macht ihr Spaß. Sie vertraute mir in einem seltenen Moment an, dass sie oft länger blieb, als sie musste, um die Hunde zu waschen und zu bürsten, weil sie glaubt, das erhöht ihre Chancen, vermittelt zu werden. Dies, und was ich von ihr aus der Schule in Erinnerung habe, sind die einzigen Sachen, die ich über sie weiß.
Manchmal frisst die Neugier mich auf, und ich male mir aus, dass ich Emma nach Hause folge und heimlich durchs Fenster in ihr Bad spähe, wo sie eine Seife auswickelt und sich die Haare kämmt. In meiner Vorstellung ist sie alleine, in einer kahlen, leeren Wohnung – aber vielleicht ist das nur, weil ich so lebe. Die Wände sind weiß, das Waschbecken und die Toilette sind weiß, sie benutzt weiße Seife und ein grobes weißes Handtuch, um den Hundegeruch von ihrem eckigen gelben Körper abzuschrubben. Ich stelle mir ihre Brustwarzen vor: klein und dunkel wie Melanome.
Wenn ich freundlicher drauf bin, stelle ich mir Emma mit den Hunden vor. Ich war schon mal in der Rettungsstation, mit Donald. Es gibt dort einen schmalen Weg zwischen Reihen von Drahtkäfigen, betonierte Flächen mit Rinnen und funkelnde Metallabflüsse. Der Lärm der Hunde, die bellen und scheppernd gegen den Draht springen, und der Gestank nach Pisse und Fell und Fleisch und Desinfektionsmittel sind beinahe überwältigend. Ich versuche, Emma nicht zu hassen, und ich male mir aus, wie die Hunde verstummen, wenn sie an ihnen vorbeigeht mit einer Bürste und einer Karodecke, die nach Persil duftet. In diesem Traumleben mache ich es möglich, dass die Hunde ihre Hände lecken und sie lächelt und mit ihnen in dieser hohen, ausdruckslosen Stimme spricht, die sie sich für ihre Kinder aufhob.
Ja. Ich versuche, sie nicht zu hassen, und ich gestehe ihr Sauberkeit und Abgeschiedenheit in ihrer weißen Wohnung zu, und ihre Hunde, aber ich besuche sie nicht, und ich frage nicht nach ihrer genauen Adresse. Ich weiß nicht, was sie glaubt, über mich und Chloe zu wissen, und ich will es auch nicht wissen.
»Gut, versetz mich nie wieder«, sage ich schwach, und Emma ignoriert mich. Sie trinkt ihren Wein aus, streckt mir ihr Glas entgegen und lächelt, woraufhin ich den Zapfhahn an dem Kanister hochdrücke und es auffülle. Wir starren auf den Fernseher. Die Fernbedienung liegt zwischen uns, unangetastet.
»Das sind nur die Regionalnachrichten«, sagt Emma. »Ich wette, im restlichen Land läuft alles wie gewohnt.«
Ich nicke, und ich kann an dem Ton ihrer Stimme nicht erkennen, ob sie das gut findet oder schlecht. Das restliche Land ist ein unbestimmter, diffuser Ort. Vielleicht existiert er gar nicht.
Terry spricht darüber, wie man die Liegezeit von lange vergrabenen Leichen bestimmt. Man untersucht die Verwesungsorganismen auf den sterblichen Überresten. Insekten oder Maden, die darin siedeln. Man weiß, wie schnell bestimmte Materialien verwesen. Es gibt Kohlenstoffdatierung. Es wird nicht allzu lange dauern, bis die Leute eins und eins zusammenzählen.
»Glaubst du, das wird Chloe in den Schatten stellen?«, fragt Emma verächtlich und deutet mit ihrem Weinglas auf den Bildschirm. »Nach all der Zeit?«
»Kann sein«, erwidere ich. »Wir werden wohl abwarten müssen, schätze ich.«
Meine Worte hängen in der Luft. Emma richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher. Ich spüre, dass der Wein in meinem Magen herumschwappt. Ich will nicht abwarten. Ich will auf Stopp drücken, aber das wahre Leben, wie mir ständig in Erinnerung gerufen wird, funktioniert nicht so.
Was andere oft an Chloe überraschte: Sie liebte Autos. Sie kaufte sich Automagazine genauso wie Mädchenzeitschriften, und sie kannte sämtliche Marken und Modelle und Motorgrößen. Sie hätte bei jeder Fachsimpelei mithalten können, aber die meisten Gespräche führte sie mit mir und Emma, die nichts wussten und nur nicken konnten. Aber noch mehr als auf Autos fuhr
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