Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
durch noch einige weitere bemerkenswerte Superlative auszeichnet: Hongkong hat die zweitniedrigste Geburtenziffer der Welt, zugleich gibt es, wie Studien zeigen, kaum einen anderen Ort auf dem Globus, wo die Lebenszufriedenheit der Menschen so stark von ihrem Einkommen abhängig ist; in Hongkong gilt die Formel »Glück = Geld«). [97]
Wie lässt sich aus diesen Unterschieden ein Reim machen? Worin könnte der unerwartete Glücksfaktor der Latinos bestehen? Wieso fühlen sich die Menschen in El Salvador, Kolumbien, Puerto Rico und Guatemala viel besser als wir uns in Deutschland, obwohl wir im Vergleich zu ihnen geradezu alles haben, zumindest in materieller Hinsicht?
Keiner weiß es genau. [98] Manche meinen, die Sonne, der Salsa und eine gewisse Carpe-diem-Haltung spielten eine Rolle. Andere sehen die Ursache in der Religion, die in Lateinamerika einen anderen Stellenwert hat als bei uns. Demnach könne man entweder mit Hilfe des Glaubens seine Erwartungen dämpfen und die widrigen Umstände und das unvermeidliche Leiden des Lebens akzeptieren. Oder man setzt alles daran, diese widrigen Umstände aus dem Weg zu räumen und seine Träume in diesem Leben zu erfüllen, statt von einem hypothetischen nächsten Leben zu träumen. [99] Diese letzte – unsere – Strategie besteht darin, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel von dem abzubekommen, was man will. Die religiöse Strategie gleicht eher dem Versuch, seine Wünsche zurückzustellen und stattdessen zu wollen, was man bekommt.
Obwohl an all diesen Erklärungsansätzen sicher etwas dran ist, gibt es vielleicht noch etwas, das den Lateinamerikanern zu ihrem Glücksplus verhilft, etwas ganz Naheliegendes, das mir zumindest wichtiger erscheint als Dauersonne und Salsa (aber ich bin halt auch kein großer Tänzer): Womöglich hängt das unerwartete Glück der Latinos auch damit zusammen, dass gerade sie starken Wert auf die Familie, wie überhaupt auf das soziale Leben, legen.
So könnte man die Glücksgrafik auch folgendermaßen lesen: Je mehr man sich in der Grafik nach rechts bewegt, desto reicher werden die Länder, desto mehr suchen die Menschen ihr Glück in der Geldwelt, was allerdings tendenziell mit einer größeren zwischenmenschlichen Distanz einhergeht, von der nicht zuletzt die Familie betroffen ist. So ließe sich eventuell nicht nur das ungewöhnliche Latino-Glück, sondern auch das verhältnismäßig bescheidene Glücksniveau einiger geldreicher, aber familienarmer Länder wie Deutschland erklären.
Klar, das ist alles reichlich spekulativ, teils auch widersprüchlich (Beispiel: Warum ist das Glücksniveau Italiens so niedrig?), was schon allein daran liegt, dass sich eine dermaßen komplexe Angelegenheit nicht auf einen Einzelfaktor zurückführen lässt. Dennoch scheint es den einen oder anderen Befund zu geben, der zumindest ein Stück weit für diese Spekulationen sprechen könnte.
Zum Beispiel ist es nicht etwa nur eine Klischee-Vorstellung, sondern es zeigt sich auch in empirischen Untersuchungen, dass die Lateinamerikaner der Familie eine erheblich größere Bedeutung zumessen als die Menschen in den wohlhabenden Staaten auf der rechten Seite der globalen Glücksgrafik, und gerade auch als wir Deutsche. [100] Zu diesem Schluss sind unter anderem erst kürzlich einmal mehr zwei Forscher der Harvard-Universität gekommen, als sie in einer Studie versucht haben, den Stellenwert der Familie in 80 verschiedenen Ländern zu bestimmen.
Die Wissenschaftler unter Leitung der italienischen Ökonomin Paola Giuliano hatten Enqueten ausgewertet, in denen Menschen rund um die Welt danach befragt worden waren, wie groß der Respekt sei, den sie für ihre Eltern hätten, und ob sie selbst als Eltern das eigene Wohlergehen ihren Kindern zuliebe zurückstellen würden oder eher nicht. Aus den Antworten leiteten die Forscher ein vielleicht nicht perfektes, aber vermutlich doch einigermaßen brauchbares Maß für den Familienstellenwert des jeweiligen Landes ab. Es zeigte sich: Sehr wichtig ist die Familie nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Afrika und Asien. Eine weitaus geringere Bedeutung dagegen hat die Familie in Nordeuropa, und in kaum einem Land ist ihr Stellenwert – im globalen Vergleich – so verschwindend gering wie in Deutschland.
Hier sieht man die 40 Länder mit schwachen bis mittelstarken Familienbanden, Deutschlands Familienschwäche scheint nur noch von der Litauens übertroffen zu werden: [101]
Unter
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