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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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zwei berühmte Ärzte, einen Araber und einen Juden, die ihn bestimmt besser
     kuriert hätten.
    »Aber wie soll ich nach Tunis reisen?« sagt er achselzuckend. »In dieses Piratennest! Wo ich so viele von ihresgleichen an
     den Galgen gebracht habe!«
    Ich höre auf sein Herz, das jetzt ruhiger schlägt. Mit angezogenen Beinen liege ich auf der Seite, meinen Kopf unter seiner
     linken Achsel, und kann, wenn ich den Arm über seinen gewölbten Brustkorb lege, mit den Fingerspitzen kaum seine rechte Achselhöhle
     erreichen, so breit ist er.
    Ich bin jetzt sechzehn Jahre alt. Ich esse, wie ich Appetit habe, und ich habe meist großen Appetit. Doch ich bin weder gewachsen
     noch dicker geworden. Ich wiege nicht viel mehr als eine Feder. Meine Brüste sind kaum größer als Granatäpfel, mein Hintern
     ist klein, rund und fest wie der eines Knaben. Ich weiß wirklich nicht, was der Fürst an mir liebenswert findet, abgesehen
     vielleicht von meiner mattbraunen Haut und meinem Gesicht mit den Gazellenaugen, der kleinen Nase, dem vollen Mund und den
     schwarzen Locken.
    Ich presse die Nase an seine Hand, die so gut riecht, die immer gut riecht, sogar wenn er schwitzt, und warte schweigend.
     Trotz meiner Ungeduld bedeutet Warten Genuß. Paolo ist gerecht: er schickt mich nicht weg, ohne nicht auch mich befriedigt
     zu haben. Ich schließe die Augen und bin ganz Erwartung.
    Manchmal streiten wir uns auch – immer über das gleiche Thema: ein Thema, bei dem ich, obwohl ich sonst so gut zu schweigen
     weiß, vor Unwillen meine Zunge nicht im Zaume halten kann.
    »Schon vor fünf Jahren hättest du es tun sollen! Sie hat dich mit einem Verwandten betrogen. Wie schamlos! Du hast dich damit
     begnügt, sie in der Burg von Bracciano einzuschließen. Und jetzt gibt sie sich Wächtern, Stallknechten, Maultiertreibern und
     Küchenjungen hin. Sie bringt dich jeden Tag mehr in Schande!«
    Seine Augen werden stahlblau, und er stößt mich hart zurück.
    |86| »Halt den Mund, du Barbarin! Du, eine Frau, verlangst von mir, eine Frau zu töten. Du bist keine Christin. Du bist nicht christlicher
     als Francesco di Medici, als sein Bruder, der Kardinal, oder der Papst! Sobald die Rede von Isabella ist, beschwört mich Francesco,
     ›mich wie ein Edelmann‹ zu verhalten. Sein Bruder beschwört mich, ›wie ein Christ‹ zu handeln. ›Wie ein Christ‹ – was für
     ein Hohn! Und der Papst äußert öffentlich scheinheiliges Erstaunen darüber, daß ich meine Angelegenheiten ›noch nicht in Ordnung
     gebracht habe‹! Hör mir gut zu, Aziza, und schreib es dir hinter die Ohren: ich bin Soldat und kein Henker!«
    Ich schweige. Ich sitze auf dem Bett, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen, schaue ihn von der Seite an und mache
     ein Gesicht wie ein gescholtenes, geschlagenes kleines Mädchen, obwohl er noch nie die Hand gegen mich erhoben hat. Diese
     Miene besänftigt ihn immer und amüsiert ihn zugleich. Er ist ja nicht dumm. Er ist ein Mann, der alles an den Frauen liebt,
     selbst ihre kleinen Listen. »Komm her, du böses Mädchen«, sagte er kurz darauf. Ich werfe mich in seine Arme, seufze tief
     auf und schmiege mich an ihn. Wenn er mich jetzt doch nehmen wollte, wie glücklich wäre ich, unter seinem mächtigen Körper
     begraben zu sein.
    Ich bin nicht blutgierig und habe kein Interesse am Tod seiner Frau. Ich bin Paolos Sklavin, nicht einmal seine Konkubine.
     Aber es macht mich rasend, daß diese Frau ihn entehrt. Ich höre sehr wohl die Bemerkungen, die hier und da und sogar auf der
     Straße über ihn gemacht werden. Es bringt mich zur Verzweiflung, daß man diesen Helden einen Feigling nennt, sei es auch nur
     hinter vorgehaltener Hand.
    Dieser letzte kleine Streit fand zwei Tage vor dem 19. März statt. Nach dem 19. März änderte sich natürlich alles.
     
     
    Raimondo Orsini (il bruto
1
):
     
    Mein Bruder Lodovico, Graf von Oppedo, und ich gehören zur jüngeren Linie der Orsinis. Das Oberhaupt der älteren Linie – und
     damit zugleich der ganzen Familie – ist Paolo Giordano |87| Orsini, der allergrößte, allerschönste, allermutigste Herzog von Bracciano. Er residiert in all seiner Pracht im Palazzo Montegiordano,
     von vier Türmen flankiert und nur durch den Tiber von der Engelsburg getrennt. Lodovico und ich, wir müssen uns mit einem
     wesentlich kleineren Haus bescheiden, ohne Ecktürme, und besitzen auch nicht, wie Bracciano, das Asylrecht.
    Ich finde diesen Zustand unerträglich. Wieso sollen

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