Idol
eines Nachts stürmen würden.
Peretti, der offensichtlich diese strengen Maßnahmen angeordnet hatte, kommentierte sie nicht. Er, der sonst so leutselig
und gesprächig war, sagte selten ein Wort und sah niemanden an. Vittoria war bleich und stumm. Camilla und Tarquinia hatten
zumindest vorübergehend ihre Wortgefechte eingestellt. Flamineo betete, und er verließ sein Zimmer nur zu den Mahlzeiten,
an denen er mit niedergeschlagenen Augen teilnahm. Giulietta, von der allein ich unter diesen Umständen eine Antwort auf meine
Fragen hätte erwarten können, beteuerte ihre Ahnungslosigkeit. Sie schien gekränkt zu sein, daß niemand sie über diese rätselhaften
Veränderungen informiert, geschweige denn ihren Rat eingeholt hatte. Die Diener beobachteten die Herrschaft und verhielten
sich ruhig.
An bestimmten Anzeichen merkte ich, daß selbst Tarquinia die Gründe für dieses neue Regime nicht kannte. Sie warf ihrer Tochter
fragende Blicke zu, die Vittoria allerdings zu übersehen schien; ihrer immer herrischer werdenden Miene nach zu urteilen,
würde sie ihre Neugier nicht länger zügeln können. Und tatsächlich, eines Abends, als sich Vittoria ungefähr eine Stunde nach
dem Essen auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, |99| erhob sich auch die Superba. Wie ihr entschlossener Gesichtsausdruck mir sagte, würde sie nicht zögern, in das Refugium ihrer
Tochter einzudringen. Das wollte ich verhindern; ich wartete jedoch, bevor ich dagegen einschritt, ein paar Minuten ab, ob
sie wirklich den Kampf eröffnen würde.
Ich erreichte den ersten Stock über die Wendeltreppe, und durch die Galerie zum Hof, der in dieser Nacht von einem herrlichen
Mond erleuchtet wurde, schlich ich auf leisen Sohlen zu Vittorias Zimmer mit seinem kleinen Vorraum, wo das Kammermädchen
schlafen mußte, wenn Vittoria leidend war.
Der Vorraum war nicht erleuchtet, und ich wollte gerade eintreten, als ich ein Atemgeräusch zu hören glaubte. Ich hielt die
Luft an, schlich mich noch leiser zur Tür und spähte hinein. Zuerst konnte ich nichts erkennen, doch als sich meine Augen
an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah ich Caterina, die an Vittorias Tür hingebungsvoll das Gespräch zwischen Mutter und
Tochter belauschte. Woran ich sie erkannte, da sie mir doch den Rücken zukehrte? Ich will es ganz unverblümt sagen: an ihrem
Hintern.
Ich näherte mich ihr bis auf Tuchfühlung, ohne daß sie mich hörte – ihre Ohren waren ja woanders. Dann packte ich sie mit
der Linken an den Haaren, hielt ihr mit der Rechten den Mund zu und zog sie so in meinen Armen rückwärts bis in die Galerie,
wobei sie sich anfangs heftig wehrte, wie eine Katze kratzte und mich sogar in die Hand zu beißen versuchte. Als sie jedoch
draußen im Mondschein mein Gesicht erkennen konnte, wurde sie sanft wie ein Lamm, sah mich fügsam an und wäre gern länger
in meinen Armen geblieben, wenn ich es geduldet hätte. Aber ich stellte sie brutal auf die Füße, hielt sie auf Armeslänge
von mir entfernt, packte sie am Kragen, brachte sie in mein Zimmer, wo ich ihr zu warten befahl, und schloß sie dort ein.
Dann ging ich zurück und trat, ohne anzuklopfen, bei Vittoria ein. Sie saß vor ihrem Frisiertisch, betrachtete sich im Spiegel
und bürstete mit müder Hand ihr Haar. Tarquinia stand hinter ihr, offensichtlich hatte ich sie in einer ihrer dramatischen
Reden unterbrochen, auf die sie sich so meisterlich versteht. Bei meinem Eintritt verstummte sie mitten im Wort. Ich hörte
nur noch »… Wagen«, woraus ich schloß, daß sie sich bei Vittoria darüber beschwerte, wie das »fünfte Rad am Wagen« behandelt
zu werden und nicht zu wissen, was vor sich ging. Diesen Vorwurf |100| hatte sie Vittoria seit deren Heirat sehr oft und immer mit den gleichen Worten gemacht.
»Signora«, sagte ich und verneigte mich spöttisch, »in diesem Zimmer sind zwei Personen zuviel: Ihr und ich. Wenn Ihr Euch,
wie wir alle, keinen Vers machen könnt auf diese neue Gangart im Palazzo Rusticucci, wendet Euch an den Mann, der dafür verantwortlich
ist – Euer Schwiegersohn, Signor Peretti. Vittoria will und kann Eure Fragen offensichtlich nicht beantworten!«
»Sie will nicht«, sagte Tarquinia, lauter werdend, »aber ich bezweifle, daß sie es nicht kann.«
»Gesetzt den Fall, sie könnte es, wie wollt Ihr sie zu einer Antwort zwingen?«
»Sie ist sie mir schuldig«, schrie Tarquinia, »ich bin ihre Mutter!«
»Signora«, sagte ich und
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