Idol
doch ich kenne seine Karriere als Söldner in Venedigs Diensten: er ist halb
Pirat, halb Kondottiere. In einem so schwachen Staat, unter einem so willensschwachen Papst muß er glauben, daß ihm alles
erlaubt sei. Doch darin wird er sich täuschen.
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Aziza, die Wespe:
Seit dem 19. März ißt mein Herr nicht mehr, schläft nicht mehr und geht nicht mehr aus. Er verträumt ganze Stunden auf einem
Diwan oder irrt ziellos durch den Palast. Er, der sonst so aktiv ist, spielt nicht mehr und reitet kaum noch aus. Hinzu kommt
seine Schenkelverletzung, er hinkt jetzt stärker. Und wenn es ihn noch nach meinen Liebkosungen verlangt, schlägt seine Stimmung
gleich danach in Melancholie um, was gar nicht seine Art ist.
Natürlich hat mich zunächst die Eifersucht gequält, doch ich habe es geschafft, sie zu unterdrücken. Ich kenne meinen Platz
im Herzen meines Herrn, in seinem Haus und in seinem Land genau. Mein Platz in seinem Herzen ist nicht unbedeutend, ohne daß
ich freilich die geringste Chance hätte, eines Tages an die erste Stelle aufzurücken. Mein Platz in seinem Haus ist gering,
mein Platz in seinem Land gleich Null; wer würde eine kleine maurische Sklavin, für fünfhundert Dukaten an Bord einer venezianischen
Galeere gekauft, auch nur beachten?
Seit dem 19. März habe ich mich bemüht, mich Paolo gegenüber in der weiblichen Kunst der Geduld zu üben. Spürte ich, daß er
allein sein wollte, zog ich mich unauffällig zurück. Wollte er in meiner Gegenwart schweigen, sagte ich nicht piep. Suchte
er ungerechtfertigt Streit mit mir, hielt ich meine Zunge im Zaume – ich, Aziza, die Wespe! Und wenn er anfing, von der Schönheit
seiner Liebsten zu schwärmen, konnte er in meinen großen dunklen Augen nichts als Sympathie lesen.
So ist es mir gelungen – obwohl es mir bisweilen schwerfiel –, seine Vertraute zu bleiben und auch das magere Kätzchen, auf
dessen Kopf er seine großen Hände legt, wenn er Lust hat, mich in Besitz zu nehmen.
Am Abend des Tages, an dem er im Laufe einer Unterredung, die er mir haarklein erzählte, Marcello Accoramboni zu seinem Sekretär
gemacht hatte, hörte ich verblüfft, wie seinem bisher so schweigsamen Munde eine ununterbrochene Folge von Worten entströmte.
Er sei quasi am Ziel! sagte er. Er frohlockte!
Ich traute meinen Ohren nicht, als ich den kindischen Unsinn hörte, den der große Kapitän daherredete.
»Aber Paolo«, sagte ich, als seine Beredsamkeit für einen |114| Moment versiegte, »wenn dein Bericht stimmt, hast du Marcello nicht für deine Sache gewonnen, wie du glaubst. Er hat sich
von den Edelleuten deines Hauses distanziert: von Raimondo, von Lodovico und sogar von dir. Er hat sich spöttisch zu seinem
falschen Adel bekannt und damit gezeigt, wie wenig er von dem euren hält. Und er hat unterstrichen, welche geringe Bedeutung
er deinem Reichtum beimißt, wenn er eine Bezahlung rundweg ablehnt. Du bist ihm verpflichtet, nicht er dir. Du kannst nicht
auf ihn zählen, wenn du Vittoria entführen und ihr Geliebter werden willst. Ein Mann, der Recanati erstochen hat, weil der
ein Wort zuviel über seine Zwillingsschwester gesagt hat, wie sollte er dir dabei helfen, sie zur Ehebrecherin zu machen?«
Die blauen Augen meines Herrn wurden dunkler noch als die Klinge seines Degens, und er schrie außer sich:
»Fort mit dir, du maurische Ausgeburt der Hölle. Verschwinde und tritt mir nie wieder unter die Augen! Oder ich gebe meinem
Majordomus Befehl, dich zu verkaufen!«
Sein Zorn machte mich traurig, die Drohung berührte mich wenig. Meine Geduld, meine Ergebenheit und Liebe haben schon seit
langem zwischen meinem Herrn und mir ein starkes Band geknüpft, das er nur mit Schmerzen zerreißen könnte. Im übrigen ist
Paolo gerecht. Er hat es zwei Tage später bewiesen.
Er ließ mich durch Folletto rufen, der sich, nachdem er mich in das Zimmer des Fürsten geführt hatte, wie üblich in einen
Winkel kauerte, um mit gespitzten Ohren und offenen Augen unsere Spiele zu verfolgen. Diese Gewohnheit war an Bord der venezianischen
Galeere entstanden, als ich noch nicht Italienisch sprach und mein Herr die Dienste Follettos als Dolmetscher brauchte. Obwohl
mein Italienisch jetzt perfekt ist, blieb es in Montegiordano bei dieser Gewohnheit, ohne daß mein Herr darauf achtete, denn
Folletto in seiner Ecke ist mäuschenstill. Wohingegen ich mich in seiner Gegenwart etwas geniere. Denn er hat mir gesagt,
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