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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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interessieren. Ich sah ihn undeutlich im Halbschatten des Zimmers, denn nur der Frisiertisch war beleuchtet. Dann
     blickte ich auf Vittoria, die sich bemühte, unbeteiligt zu erscheinen. Und doch überzog sich ihr Gesicht mit einer leichter
     Röte.
    Nachdem sie den Brief zum zweiten Mal gelesen hatte, hielt |121| sie ihn an eine Kerze und brannte ihn an. Mit der anderen Hand nahm sie das Schwämmchen aus der Schale, legte den Brief hinein
     und sah zu, wie er zu Asche wurde. Im Spiegel sah ich, daß Marcello sich wieder zu uns gesellte, allerdings nicht mehr hinter
     mir stehenblieb, sondern sich zur Rechten von Vittoria mit der Hüfte an den Frisiertisch lehnte.
    »Welche Antwort soll ich dem hohen Herrn überbringen?« fragte er unbeteiligt.
    »Es gibt keine Antwort«, sagte Vittoria hochmütig. Die Signora versuchte wohl, beide Partien zu gewinnen. Sie hatte sich das
     Vergnügen gegönnt, einen Liebesbrief des Mannes zu lesen, den sie liebte. Und nun gönnte sie sich das Vergnügen, die tugendsame
     Ehefrau zu spielen. Ich bin da weniger kompliziert: wenn ich beschlossen habe, etwas Schlechtes zu tun, stehe ich auch dazu.
     Ich versuche nicht, mit der einen Hand nach der Sünde zu greifen und mich mit der anderen an der Tugend festzuhalten.
    Marcello lachte spöttisch und sagte:
    »Also gut, Vittoria, ich wünsche Euch eine gute Nacht und schöne Träume.«
    Dabei beugte er sich vor, ohne sie zu berühren oder zu küssen, und stützte sich mit dem rechten Arm auf den Tisch, die Hand
     zwischen dem Schwämmchen und dem Ring mit dem V. Als er sich wieder aufrichtete, war der Ring verschwunden. Das war so geschickt
     gemacht, daß ich meinen Augen nicht trauen wollte.
    Im Hinausgehen streifte er mich leicht mit der Hand, was bedeutete, er wolle mich nach meinem Dienst bei sich sehen. Ich bebte
     am ganzen Körper, und eine unbeschreibliche Welle der Wollust überflutete mich. Vielleicht klingt das dumm, was ich da sage,
     aber ich habe es wirklich so empfunden.
    Ich verlor aber nicht den Kopf, und da ich fürchtete, von Vittoria des Diebstahls verdächtigt zu werden, sagte ich:
    »Signora, der Signor Marcello hat Euern Ring mit dem diamantenen V genommen.«
    »Ja«, entgegnete sie zerstreut, »ich weiß, ich habe es gesehen. Er kann ihn behalten. Das ist eine Manie bei ihm. Schon als
     kleiner Junge hat er mir meine Puppen stibitzt.«
    Und sie fuhr fort:
    »Laß mich, Caterina, ich bin müde und muß schlafen.« Ich |122| verbeugte mich und ging. Sie mußte überhaupt nicht schlafen. Sie mußte allein sein, um ihren Gedanken nachhängen zu können.
     Da war sie nun so eine große Dame, aber ich war glücklicher dran als sie: mein Liebhaber war nur wenige Schritte entfernt
     und gottlob kein Traumgebilde.
    Mich bekümmerte ein Gedanke, den ich sofort beim Betreten von Marcellos Zimmer loswerden mußte.
    »Signor Marcello, muß ich die Begebenheit Pfarrer Racasi erzählen?«
    »Du erzählst, daß ich Vittoria einen Brief gebracht habe, daß sie ihn verbrannt und gesagt hat: ›Es gibt keine Antwort.‹«
    »Sie hat ihn also nicht gelesen?«
    »Nein.«
    »Verzeiht, Signor Marcello, aber so etwas nennt Pfarrer Racasi eine Unterlassungssünde.«
    »Hast du ihm den Namen deines Liebhabers genannt?«
    »Nein.«
    »Das ist auch eine Unterlassungssünde. Das macht schon zwei.«
    Warum es mir leichter schien, zwei solcher Sünden auf dem Gewissen zu haben statt einer, weiß ich nicht.
     
     
    Marcello Accoramboni:
     
    Ich brauchte zwei Stunden, um mich aus der Umschlingung meines kleinen Kraken zu lösen. Obwohl Caterina nichts anderes als
     ein Krake ist, gefällt sie mir sehr. Sie würzt das Liebesspiel mit einer naiven Fröhlichkeit, die Margherita abgeht. Es stimmt
     nicht, daß Caterina »dumm wie der Mond« ist. Unsere italienische Redensart ist dumm: wir halten den Mond für dumm, weil er
     als Vollmond ein naives rundes Gesicht zeigt. Doch Caterina ist nicht dumm, die vielen Liebesszenen beweisen es, zu denen
     sie in der schönen Jahreszeit allein durch ihre Anwesenheit ermuntert.
    In Wirklichkeit ist das Mädchen ziemlich schlau. Aber wie soll ich es sagen? ihre Schlauheit ist begrenzt.
Il mancino
hat es sehr richtig beobachtet: ihr Horizont reicht nicht weiter als bis zu den Spitzen ihrer Brüste. In der Zeit ihrer »bitteren
     Keuschheit« hat sie sich so sehr nach Raimondos Umarmungen gesehnt, |123| daß ihr nicht einen Moment der Gedanke gekommen ist, der Plan des Palazzo, den er verlangte, solle zu

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