Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
und gelangten in einen Quergang, der über eine enge Treppe wieder nach oben führte. Die königlichen Stallungen lagen auf der Ostseite des Palastes, unter überhängenden Felsen, die hier eine bizarre Form angenommen hatten. Tagsüber konnte man von dem Plateau aus, das den Stallungen vorgelagert war, meilenweit über die Wälder von Effèlan blicken. In der Nacht sah man kaum die Wipfel der Farlabäume. Nur der Palast thronte wie ein illuminiertes Kunstwerk über ihren Köpfen und machte nicht den Eindruck, als drohe ihm Gefahr.
Als Miray die erhellten Galerien sah, überkamen ihn doch Zweifel. Er hatte das Gefühl, als würde der König ihn beobachten, während er hinter Lucy und Dari, an den Fels gedrückt, durch die Finsternis huschte. Er bekam feuchte Hände und wirkte blass, als sie vor den Arkaden der Stallungen anlangten. Hier war alles wie ausgestorben. Sowohl die Ställe, als auch die Gänge waren leer. Fay stand vor dem Geländer, das das Plateau zum Abgrund des Felsens hin abgrenzte, und hielt vier Pferde am Zügel. Die beiden schwarzen Windstuten, die Andamar damals so zu schaffen gemacht hatten und zwei weiße Hengste. Der eine war Baldur, das Pferd des Königs.
„Nein, ihn kann ich nicht reiten“, verwehrte sich der Prinz entschieden, als Fay ihm die Zügel reichte.
„Warum denn nicht?“, wollte sie wissen.
„Das ist das Pferd meines Vaters!“
Betretenes Schweigen breitete sich aus.
„Es waren die einzigen beiden Tiere, die noch im Stall standen“, erklärte Fay barsch.
Miray machte ein abweisendes Gesicht und blickte wieder zu den Lichtern des Palastes hinauf.
„Steigt in die Sättel“, flüsterte Dari den Prinzessinnen zu. „Ich rede mit eurem Bruder.“
Lucy und Fay saßen auf und lenkten die Rappen zur Rampe. Dari trat zu Miray und legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Es ist soweit“, sagte sie. „Du musst ihn verlassen.“
„Und wenn ich es nicht kann?“
„Entscheide dich für dein eigenes Leben.“
„Und wenn es mich ins Verderben führt? Vielleicht ist es mir bestimmt, Effèlans Thron zu erben.“
„Ich weiß nicht, was dir bestimmt ist, Miray. Aber ich weiß, dass es jetzt Zeit ist, zu gehen.“
Der Prinz blickte tief in Daris schwarze Tümpelaugen, als warte dort die Antwort auf alle seine Fragen, dann schüttelte er die Hände der Lichtfee mit einer unwilligen Bewegung ab und trat zu dem Pferd seines Ziehvaters.
Miray fuhr mit den Fingern durch Baldurs dichte Mähne. Der Hengst wieherte leise und richtete die Ohren nach vorne. Dann gab sich der Prinz einen Ruck und schwang sich in den Sattel.
„Ich werde euch führen“, sagte er an Dari gewandt und ließ Baldur voranjagen.
Der schmale Pfad, der an der Ostseite des Berges abwärts verlief, war eigentlich zu steil, um darauf hinuntergaloppieren zu können. Trotzdem trieb Miray den Hengst in einem atemberaubenden Tempo bergab. Fay, die dicht hinter ihm ritt, spürte, wie ihr der Atem versagte. Sie hatten die erste Biegung des Weges noch nicht erreicht, als der ganze Berg durch einen neuen Schlag zum Erbeben gebracht wurde. Hellrotes Feuer flog über dem Palast in die Luft und erhellte einen Moment den Nachthimmel.
Keiner wusste, womit die Grauen Hexer Effèlan angriffen. Aber was immer es war, es musste ungeheure Kräfte besitzen. Lucy blickte erschrocken über die Schulter zurück, konnte aber nichts erkennen. Nur das Geschrei von Menschen war zu hören.
Miray trieb Baldur zu noch größerer Eile an. Er kannte den Weg, trotzdem wäre der Hengst beinahe gestürzt, als sie eine neue Kehre überwanden. Nun kam der südliche Teil der Stadt in Sicht, und den Flüchtenden stockte der Atem. Graue Schatten tummelten sich so dicht wie Ratten in den Straßen, und viele der Häuser brannten.
Eigentlich müsste ich jetzt dort sein und kämpfen, schoss es Miray durch den Kopf.
Baldur nahm an Geschwindigkeit auf, als sie das flachere Wegstück erreichten. Obwohl der Hufschlag der Pferde auf dem Gestein meilenweit zu hören sein musste, nahm niemand von ihnen Notiz.
Unsere Flucht wäre niemals so einfach gewesen, hätten nicht die Grauen Hexer die Stadt angegriffen, dachte sich Lucy, die Levandas Mähne im Gesicht spürte. Die trittsicheren Windpferde hielten mühelos mit Baldur mit, der nun genau auf den dunklen Waldrand zudonnerte. Die hohen Farlabäume versanken im schwarzen Nachtschatten. Nur die Wipfel zeichneten sich gegen den strahlenden Sternenhimmel ab. Ab und zu geisterte ein rotes Licht über
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