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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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außerdem im Krieg an mehreren Fronten. So kam es, dass er den Truppen von General Napoleon Bonaparte, der die Angreifer aus Preußen und Österreich zurückwerfen sollte, in die Hände fiel. Eine solide, wenn auch verdreckte Kutsche und vier edle Pferde waren eine kostbare Beute, die man gleich in das Lager des Generals verbrachte, das man in sicherer Entfernung zur Front aufgeschlagen hatte. Von weitem war das Donnern der Kanonen zu hören. Eine kleine Truppe von Soldaten exerzierte am Rande des Lagers. Einer seiner Adjutanten berichtete dem Befehlshaber von der Beute, und dieser kam sogleich aus seinem Zelt, um das Gefährt zu begutachten. Der alte Kutscher stand mit einem ängstlichen Ausdruck im Gesicht am Kopf der beiden Vorderpferde und hielt diese am Zaumzeug fest, als der General und sein Adjutant mit militärischen Schritten um die Kutsche herumgingen. Etwas von der schwarzen Farbe am linken Wagenschlag hatte sich gelöst und darunter glänzte das Gold des Lilienwappens. Zweifellos hatte dieser Wagen einmal einem Aristokraten gehört.
    „Der Kutscher will uns den Namen seines ehemaligen Herrn nicht nennen. Er behauptet, dieser wäre bei einem Brand in seinem Schloss umgekommen, das die Revolutionäre gelegt hätten“, meldete der Adjutant mit zackigem Gruß, als Bonaparte ihm seine Vermutung mitteilte.
    „Nun, das spielt auch keine Rolle mehr. Die Kutsche ist beschlagnahmt und dient uns von nun als Proviantwagen. Die Pferde …“, der General überlegte kurz. Er selbst bevorzugte, wie alle Heerführer, weiße Pferde, die das Gefolge schon von weitem erkennen konnte. Rappen kamen für ihn nicht in Frage, selbst wenn sie von solch hervorragender Qualität waren. Er winkte ärgerlich ab.
    „Lasst sie weiter den Wagen ziehen.“
    „Was soll mit dem Kutscher geschehen?“, erkundigte sich nun geflissentlich der Adjutant.
    „Der Mann ist zu alt, um unserer Sache zu dienen. Lasst ihn ziehen, ich habe keine Verwendung für ihn!“, befahl der General, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und zog sich wieder in sein geräumiges Zelt zurück.
    Nach etwa zwei Stunden betrat der Adjutant erneut das Zelt, salutierte eifrig und erstattete aufgeregt Meldung: „Mon Général, unsere Leute haben beim Beladen der Kutsche in einem Geheimfach etwas entdeckt!“ Dabei hob er etwas Viereckiges hoch, das ganz offensichtlich ein gerahmtes Bild war. Erschrocken bemerkte er, dass er es mit der Rückseite zu Napoleon hielt und korrigierte das rasch. Bonaparte, der den jungen Soldaten zunächst wegen der ungebetenen Störung hatte zurechtweisen wollen, hielt inne und betrachtete das Portrait. Der strenge Adlerblick in seinen Augen wich einem eher sanften Ausdruck. „Wunderschön“, murmelte er kaum hörbar.
    „Eine hervorragende Malerarbeit“, kam es dann anerkennend und deutlich aus seinem Munde, als er näher trat und die Signatur des Künstlers entdeckte.
    „Lasst es hier. Ich werde es als Kriegsbeute deklarieren. Geht, und kümmert Euch weiter um den Proviantwagen!“
    Der Adjutant stellte das Bild ab, salutierte erneut und verließ eilig das Stabsquartier.
    Insgeheim hatte der korsische General nicht vor, dieses Bild jemals wieder aus der Hand zu geben. Es hatte ihn zutiefst beeindruckt, und das lag nicht allein an den exzellenten Pinselstrichen des Künstlers. Während der folgenden Stunden, bis spät in die Nacht hinein, schlich sein Blick immer wieder von den Landkarten, auf denen die Fronten eingezeichnet waren, und die er zwischendurch mit dem einen oder anderen Offizier besprach, zu dem Bild hinüber, welches der Adjutant an einen der Zeltpfosten gelehnt hatte. Die magischen, schwarzen Augen eines Jünglings mit goldfarbenem Teint blickten ihn unverwandt an und schienen jeder seiner Bewegungen zu folgen. Eine zeitlose Schönheit hatte der Maler dort eingefangen – weder Kind noch Mann –, hinter der sich ein tödliches Geheimnis verbarg.
    „Wenn ich nur wüsste, wer Ihr seid“, dachte Napoleon dabei.
    Es musste sich zweifellos um ein Mitglied des Hochadels handeln, sonst wäre ein so bekannter Künstler unbezahlbar gewesen. Auch den Mitgliedern seines Stabes war dieser junge Mann nicht bekannt. Das Bildnis des Marcel Saint-Jacques begleitete Napoleon Bonaparte von dieser Stunde an.
     
    Der alte Gaspard schulterte sein Bündel mit den wenigen Habseligkeiten und verließ das Feldlager unbehelligt. Er machte sich zu Fuß auf den weiten Weg nach Paris. Er fühlte sich in der Pflicht, seinem Herrn die

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