Im Herzen des Kometen
die weitläufige Höhle blieb dennoch ein unregelmäßig geformtes Loch tief unter dem Eis. Man dachte ungern daran, wie viele Tonnen in dem Kilometer oder mehr bis zur Oberfläche über einem hingen.
In der Mitte der Kaverne lag das Bugende der Transportsonde Whipple und warf im Licht der wenigen aktiven Beleuchtungskörper diffuse Schatten. Ringsum säumten die Reihen der sargähnlichen Kühlfächer die Wände, Ruhestätten für mehr als hundert überwinternde Männer und Frauen.
Ging dieser Kampf verloren, so war es fraglich, ob die Schlafenden jemals wieder Licht sehen würden. Waren sie womöglich schon zum Tode verurteilt?
Und Saul überlegte, ob und wie etwas von der Verzweiflung der Lebenden zu den Schlafenden dringen und ihre verlangsamten Träume stören könnte.
Wahrhaftig, es war wie eine Gruft. Und es war kalt.
Die Beleuchtung war gedämpft, um Energie zu sparen. Vor zwei Wochen, als bis auf vierzehn Angehörige der Ersten Wache alle schlafengelegt worden waren und jedermann eine lange, ruhige und langweilige Dienstperiode erwartet hatte, war der kleine Fusionsreaktor abgeschaltet worden. Nun fehlte es an den Arbeitskräften, einen wieder angefahrenen Reaktor zu überwachen. Alle wurden in den Stollen, in den Lagerräumen und in der Krankenstation benötigt.
Außerdem gehörte Licht zu den Faktoren, welche die Lichenoiden und die purpurnen Würmer anlockten. Licht und Wärme ebenso wie Luft und Nahrung…
Sicherlich war es kein Zufall, dachte Saul, daß diese Lebensformen dieselben Bedingungen schätzen, die dem Menschen unentbehrlich waren. Der größte Unterschied bestand darin, daß die einheimischen Lebensformen nur einmal in 75 Jahren für kurze Zeit eine Art Frühling erlebten, wenn die Hitzewellen von der sonnenerwärmten Oberfläche in die Tiefe drangen. Sie waren durch ihre Entwicklungsgeschichte zu raschem Wachstum programmiert, um die jäh einsetzende Saison voll zu nutzen.
Noch immer war Saul verblüfft von der Artenvielfalt und der Vielgestaltigkeit der Lebensformen, die sich von dem grünen, algenähnlichen Bewuchs nährten. Durch ihre bloße Existenz verletzten sie die Grundsätze der modernen Biologie.
Aber er dachte praktisch genug, um nach einer Weile aufzuhören, »Unmöglich!« zu murmeln. Später konnte er versuchen, eine Antwort zu finden; im Moment galt es Möglichkeiten zu finden, ihnen Einhalt zu gebieten.
Inzwischen konnte er sich besser im schwerelosen Raum bewegen. Dennoch kamen ihm die eigenen Füße in die Quere, als er nahe der Schleuse zum Stollen J landete.
Glücklicherweise gab es nur wenige Eingänge zum Kühlfachkomplex 1. Der durch Stollen J war der kritische. Nur ein paar hundert Schritte weiter und eine Ebene höher waren Carl Osborn und seine ermüdeten Helfer dabei, den schleimigen grünen Algenbewuchs wegzuscheuern, um eine kritische Strecke aus dem Nahrungsangebot herauszunehmen, das von den abscheulichen purpurnen Würmern genutzt wurde.
Bisher hatten großzügige Dosen bestimmter Desinfektionsmittel und synthetischer Herbizide den erhofften Erfolg gebracht, zumindest vorläufig. Aber es war klar, daß sie sich nicht für alle Zeit auf die Wirksamkeit dieser Mittel verlassen konnten.
Vorsichtig legte er drei von den Lampen aus der Hand und brachte die vierte im Stollen hinter der offenen Schleuse in Position. Er mußte nach der passenden elektrischen Fassung suchen, und fand sie schließlich halb überwuchert von einem zarten, schimmelartigen Gewebe vielfarbiger feiner Fäden. Er mußte sie mit dem Stiefel beiseitewischen, bevor er das Gerät einstecken und die Zeituhr stellen konnte.
Er schaltete das kleine Kopfhörer-Mikrophon ein, das unter seiner Wollmütze hervorschaute.
»Lintz sucht Sprechverbindung mit Osborn, bitte Anschluß herstellen!« Er wußte, daß es wirtschaftlichere Methoden gab, den Zentralrechner um eine Verbindung zu ersuchen – des öfteren hatte er miterlebt, wie andere ihre Instruktionen in kürzerer Zeit hervorbrachten als für einen Schluckauf benötigt wurde – aber er hatte die richtige Vorgangsweise vergessen. So bestand jedenfalls nicht die Gefahr, daß der Rechner eine Fehlverbindung herstellen würde.
Ein kurzes Knacken, dann eine zischende Trägerwelle.
»Osborn. Was gibt es?«
Die Meldung hätte kaum knapper ausfallen können, aber manche Leute waren so. Bündigkeit hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten.
»Carl, Joao Quiverian und ich sind mit der Überprüfung des Kühlfachkomplexes 1 fertig. Wir haben
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