Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
hatte.
    Carl entdeckte, daß er die falsche Richtung erwischt hatte, so daß er auf dem Weg nach Norden und in die Stadt war, statt nach Süden in Richtung Monterey zu fahren. Er bog jedoch noch nicht ab, um umzukehren, da er sich unentschlossen fühlte.
    Es war viel schneller und leichter gewesen, sie aufzuspüren, als er erwartet hatte. Und sie an einem Samstag um 7 Uhr abends in Santa Barbara zu besuchen, schien kaum ein idealer Zeitpunkt zu sein. Sie hatte vielleicht Gäste zu Hause, und dann würde er gelinde gesagt unpassend aufkreuzen. Oder sie war vielleicht selbst eingeladen. Die Alternative, bei ihr einzubrechen und dort auf sie zu warten, schlug er sich schnell aus dem Kopf. Solange er nicht wußte, wie es in der Umgebung ihrer Wohnung aussah, konnte er auch nicht damit rechnen, im Freien einigermaßen diskret auf sie warten zu können.
    Er ließ sich eine Zeitlang planlos vom Verkehr mittragen und näherte sich bald der Innenstadt. Es war ein klarer Tag ohne Nebel, jedenfalls bis jetzt. Er warf einen Seitenblick auf die Straßenkarte, die auf dem Beifahrersitz lag, und beschloß, an der Uferstraße um die Innenstadt herum nach Fisherman’s Wharf zu fahren, wo er bisher nur einmal gewesen war. Er versuchte, eine Zeitlang nach Gefühl zu fahren, verhedderte sich aber schon bald in dem fast undurchdringlichen Netz der Einbahnstraßen San Franciscos. Plötzlich fand er sich in den engen Straßen von Chinatown wieder, das bei hellem Tageslicht und ohne Neonreklame düster und schäbig aussah.
    Einige Zeit später hatte er jede Orientierung verloren, fuhr aber zum Spaß bergauf, sobald er einen Abhang entdeckte. Gelegentlich schnaufte der große schwache Motor vor Anstrengung. Es war unbegreiflich, daß die meisten Bewohner San Franciscos bei diesen steilen Straßen amerikanischen Wagen den Vorzug gaben.
    Nach kurzer Zeit befand er sich so hoch oben, daß er die ganze San Francisco Bay überblicken konnte. Unten im Osten lagen die Wolkenkratzer der Downtown, im Norden sah er die Golden Gate Bridge, die zum Teil in eine Nebelwolke gehüllt war. Wenn er sich etwa in der Mitte hielt, würde er irgendwann in Fisherman’s Wharf ankommen.
    Er beeilte sich nicht, während er seine Irrfahrt fortsetzte. San Francisco war eine gute Stadt, irgendwie eine Mischung aus Europa und den USA; niedrige kleine Holzhäuser mit Schnitzereien, und gleichzeitig schnurgerade, unendliche Straßen. Und dann die plötzlich auftauchenden, manchmal verblüffend steilen Steigungen.
    Als er schließlich Fisherman’s Wharf erreichte, erlebte er eine Enttäuschung. Es war zwar Samstagnachmittag, aber mitten im Winter, und es herrschte kein so reges Treiben, wie er erwartet hatte. Mehrere Restaurants waren geschlossen, auf Straßen und Bürgersteigen gab es nur wenige Verkaufsstände, und sogar an Parkplätzen herrschte kein Mangel.
    Er stellte den Wagen ab und betrat das erstbeste Restaurant. Er bestellte Austern mit Meerrettich-Chili und ein Glas kalifornischen Chablis. Mit den wohlbekannten Geschmacksnuancen kamen die Erinnerungen.
    Er aß langsam und begann allmählich das Gefühl zu genießen, ein ganz normaler Mensch zu sein, anonym und unverstellt. Die Rolle als Schicki-Micki-EDV-Unternehmer zu Hause war ihm offenbar stärker auf die Nerven gegangen, als er sich hatte eingestehen wollen.
    Einige Zeit später setzte er seine Fahrt ins Blaue fort und erreichte den Highway in Richtung Golden Gate. Nur wenige Wagen fuhren stadtauswärts, während der Gegenverkehr stark war, wie er erwartet hatte.
    Als er sich den mennigeroten Stützpfeilern der Brücke näherte und seinen Quarter-Dollar bezahlt hatte, waberten erste durchsichtige Nebelschwaden heran. Oben auf der Brücke wurde die Sichtweite schnell immer geringer, und so kroch er eine Weile langsam weiter, den Blick starr auf den vorausfahrenden Wagen mit einem grün-weißen Nummernschild aus Nevada gerichtet. Doch oben auf dem höchsten Punkt der Brücke lichtete sich plötzlich der Nebel, und er erhielt einen schnellen, überraschenden Ausblick auf den gesamten inneren, den östlichen Teil der San Francisco Bay.
    Gleichsam unbewußt ließ er seinen Blick eine Weile schweifen, bis er die kleine Insel inmitten der blauen Wasserfläche entdeckte.
    Alcatraz.
    Neuerdings war das berüchtigte, ausbruchsichere Hochsicherheitsgefängnis geschlossen. Es war zur Touristenattraktion geworden; unten in Fisherman’s Wharf hatte er einen Stand mit Sweatshirts gesehen. Die grauen Sweatshirts hatten

Weitere Kostenlose Bücher