Im Land der Regenbogenschlange
einen Kommentar, immer nur: »Sorry, I don't know.« Er weià aber, dass ihn seine Freundin inzwischen verlassen hat. Weil er in Cairns einen Wet-T-Shirt-Contest besucht und Wohlgefallen an fremden Brüsten gezeigt hatte. Ist Girsi tatsächlich deshalb mit einem anderen davon? Gewiss nur ein Vorwand, der wahre Grund liegt sicher in Joons mangelndem Hirnschmalz. Und in einem solchen Fall hat jede Frau das Recht, sich aus dem Staub zu machen. Die Unbedarftheit mancher Zeitgenossen grenzt an Körperverletzung.
Der neue Tag kommt und mit ihm neues Ungemach. Seit Stunden steigt die Temperatur im Bus (zusätzlich zur Schwerhörigen-Beschallung), und natürlich lässt sich kein Fenster öffnen. Jeder von uns sitzt hitzegedunsen auf seinem Platz. Ich warte nochmals eine halbe Stunde, das Thermometer kriecht auf 39 Grad, keiner rührt sich. Ich gehe nach vorne â ich habe mich bewusst darauf vorbereitet â und informiere ruhig und höflich den Fahrer, dass die Klimaanlage nicht funktioniert, schon lange nicht mehr. Das hätte ich nicht tun sollen. Der Mann reiÃt sein schweiÃgebadetes (!) Gesicht herum und brüllt, rot und hässlich vor Zorn: »Shut up, the air condition is working«, tritt gleichzeitig hart auf die Bremse, ich knalle gegen die Windschutzscheibe, aus dem Fond kommen spitze Schreie, viele schleudern mit Wucht gegen die Rückenlehne des Vordermanns, das Vehikel kommt abrupt zum Stehen. Wieder der hässliche Zornige: »One more word and I throw you out.«
Ein Hagel von Gedankenfetzen stürzt auf mich ein: dass der Mensch nicht das geringste Recht hat, mich auf die StraÃe zu setzen. Dass ich mich korrekt verhalten habe. Dass Greyhound den Service einer Klimaanlage ausdrücklich anbietet. Dass er sich nur zu entschuldigen braucht und die Sache ist erledigt. Dass weltweit die Zahl der Loser steigt, die wegen einer verbogenen Zahnbürste Amok laufen. Dass einer jetzt deeskalieren muss, sonst endet dieser unfreiwillige Stopp in der Tanami-Wüste mit einem Polizeibericht.
Ich bin kein begabter Troubleshooter, erst recht nicht, wenn jemand so aggressiv und steinblöd attackiert. Aber auch ich habe meine lichten Momente. Und ausgelöst wird er diesmal, vollkommen bizarr, durch die blitzhafte Erinnerung an eine Passage aus dem Buch Manieren , das vor einigen Jahren in Deutschland herauskam (und hundertmal zu Recht hochgelobt wurde). Geschrieben von Asfa-Wossen Asserate, einem Ãthiopier, der u. a. in Tübingen studiert hat. Ich hatte mir damals fünf Dutzend Szenen herausgeschrieben, die mir wichtigste spielte in London: Eine Frau fährt mit dem Bus nach Hause. Als sie dem Schaffner die Geldstücke gibt, lässt er sie fallen. Aus Mutwilligkeit, aus Unachtsamkeit, wer weiÃ. »Heben Sie sie auf«, sagt er kalt zu der älteren Dame. Sie sieht ihn an und stellt sich sein an Kränkungen und Frustrationen reiches Leben vor. Dann bückt sie sich und sammelt die Münzen ein.
Das war ein Zeichen von Stärke. Ich wollte auch immer stark und duldsam sein, und heute, ja heute, soll es mir gelingen. Ich lasse mich nicht provozieren und verweise nochmals ohne Hysterie auf die defekte Anlage. Und gehe zurück zu meinem Sitz. Der Berserker lässt den Motor wieder an, fährt weiter, stumm. Als wir am frühen Nachmittag eine gröÃere Ortschaft erreichen, teilt er uns mit â als wäre nichts geschehen â, dass die Klimaanlage repariert werden muss. Kein Wort der Entschuldigung.
Ich greife voraus: Am Zielort gehe ich zum Greyhound-Office und bitte, dass man Fahrer Mark E. Manieren beibringt. Wie ich höre, war der Ausfall mir gegenüber nicht der Einzige. Ãberraschenderweise (oder nicht überraschend?) erfahre ich, dass den Mann schwerwiegende Eheprobleme plagen. Nun, so sei ihm verziehen. Wir alle haben Phasen, in denen wir mehr Nachsicht benötigen, als uns zusteht.
Der letzte Abschnitt der Strecke ist eine letzte Prüfung. Ganz abgesehen vom zweistündigen Verzug. Nach kurzer Zeit fällt erneut die Klimaanlage aus. Ich nehme es ergeben hin, zuletzt sogar freudig, da ich Zeuge einer Epiphanie werde. Während der Fernseher läuft (ich habe inzwischen wieder meine lebensrettenden Plastikkorken in den Ohren), kommt ein junger Aborigine auf mich zu und fragt nach einem Buch. Da er mich lesen sah, vermutete er, dass ich noch andere Bücher dabeihabe. So ist es. Bis zur Ankunft werde ich immer
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