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Im Paradies der Suende

Im Paradies der Suende

Titel: Im Paradies der Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Mullany
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interessant, wie Putz an der Wand beim Trocknen zu beobachten.
    „Aber ist das nicht genau das, was du gleich vorhast, Lou?“ Er lehnte an einer Sandsteinsäule auf der Veranda und schlug lässig mit der Reitpeitsche gegen seine Stiefel. Im Schatten der Hutkrempe wirkten seine Bartstoppeln noch dunkler.
    Weil er so sexy aussah, musste sie wegschauen, um ihre Gedanken zu sortieren. „Unsinn, die Farbe hier ist schon vor Jahrzehnten getrocknet. Amüsier‘ dich mit den anderen Jungs, wir sehen uns dann beim Dinner.“
    Im Haus traf sie zwei Dienstmädchen, die in historischen Kostümen einen sehr modernden Reinigungswagen durch den Korridor schoben. Sie nickte ihnen zu und ging in ihr Zimmer. Sie wünschte, sie hätte vorhin nicht an ihre Dissertation gedacht. Dieser stille Raum wäre ideal, um daran zu arbeiten, wenn sie sich nicht so erstarrt fühlen und wenn - nun ja - das Thema sie nicht dermaßen langweilen würde.
    Auf dem Bett fand sie ein hübsches Baumwollkleid, saubere Unterwäsche, Strümpfe und das Tagesprogramm. Das Muster des Kleides erinnerte sie an eine altmodische Tapete, aber auf durchaus positive Weise: Die sanften Farben, Streifen und stilisierten Rosenzweige gefielen ihr. An diesem Morgen hatte Mac sie mit einer Rose verglichen. So verlegen war er nach seinem spontanen Kompliment gewesen. Sie musste lächeln, als sie daran dachte.
    Sie zog sich um. Mit einer Spitzenborte, die sie zwischen Bändern und anderem Krimskrams in einer Holzkassette auf dem Toilettentisch fand, umwand sie ihr Haar im Nacken: Sie fragte sich, ob ihr Gesicht beim Morgenritt ein wenig Farbe bekommen hatte. Die Kratzer, die Macs Bartstoppeln auf ihrer Haut hinterlassen hatten, waren verblasst. Aber ihre Wangen schimmerten rosig, so als wäre sie aufgeregt. Konnte Mac daran schuld sein?
    Sie verließ ihr Zimmer, und ein Diener, der kaum Englisch sprach, führte sie in den Flügel des Hauses, der noch restauriert werden musste. Sie fand Jon in einem Raum mit kahlen Wänden und unebenen Bodenbrettern. Er saß an einem billigen Holzschreibtisch und trug einen Malerkittel. Auf mehreren Tischen lagen Tapeten- und Farbmuster in kleinen Plastikbeuteln. Mit geradezu lächerlichem Entzücken entdeckte sie, dass es hier elektrischen Strom und einen Computer gab.
    „Freut mich, Sie zu sehen, Lou.“ Freundlich lächelte Jon ihr zu und betrachtete sie über seine Lesebrille hinweg. Sein zerzaustes Haar hing ihm in die Stirn. Als Sprößling einer englischen Adelsfamilie war er in einem ähnlichen Haus wie Paradise Hall aufgewachsen. Am Abend zuvor hatte er ihr erzählt, wahrscheinlich habe er einen Gehirnschaden davongetragen, weil er als kleines Kind immer die alte, bleihaltige Farbe von den Wänden seines Zimmers gekratzt habe. Später sei Restaurateur der einzig denkbare Beruf für ihn gewesen.
    „Ich habe das Personal gebeten, uns den Lunch hier zu servieren. Auch mein Partner Simon wird mit uns essen. Schauen Sie sich inzwischen diese Schönheit aus dem kleinen Speiseraum an.“ Er führte sie zu einem Mikroskop. „Wir haben sechzehn Schichten Farbe gefunden! Die ursprüngliche war dieser Malventon, der laut Goethes Farbenlehre die Verdauung fördert. Stellen Sie sich nur mal vor, morgens beim Frühstück auf diese Farbe zu blicken, wenn Sie verkatert sind! Da bevorzuge ich ein Gelb.“
    Fasziniert betrachtete Lou die Farbpartikel, Metallstücke und Stofffetzen, alle Relikte aus der Vergangenheit. In kleinen Plastikbeuteln warteten sie drauf, analysiert, konserviert und gelagert zu werden. Sie entdeckte ein Stück wundervollen, roten Seidenbrokat. Er stammte vom Bezug eines Sessels, den Jon auf dem Dachboden entdeckt hatte, und leuchtete wie vor zweihundert Jahren. Daneben lagen ausgeblichene Tapetenfetzen, von der Zeit, feuchter Luft und Ratten ruiniert, Türgriffe und -angeln, rostige Nägel und andere Metallteile.
    „Was wir damit machen…“, fuhr Jon fort. „Gute Frage. Jedenfalls bringen es die Jungs nicht übers Herz, das alles wegzuwerfen. Man muss ein bisschen verrückt sein, so wie wir beide, um solche Dinge zu schätzen. Also wird alles erst einmal gelagert. Traurigerweise gilt das Originaldekor dieses Hauses nach heutigen ästhetischen Maßstäben als nicht sonderlich schön. Ah, da ist Simon. Und der Lunch. Exzellent!“
    Ein Lakai stellte ein großes Tablett auf einen Tisch. Simon half ihm, die Plastikbeutel beiseite zu schieben und Stühle zurechtzurücken. Dann setzten sie sich, aßen köstlichen Frischkäse,

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