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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Sicherungsgeschäften, die ganze Wissenschaft und Kunst der Spekulation – alles lief auf die eine und einzige Grundwahrheit hinaus: dass man mit anderer Leute Geld zockte.
    Dabei konnte es natürlich vorkommen, dass man deren Geld von Zeit zu Zeit verspielte. Und solang sie nichts davon wussten, war es in der Regel möglich, sie hinzuhalten und sich etwas mehr zu leihen und den Verlust wieder hereinzuholen. Aber zu irgendeinem – vielleicht fernen, vielleicht, wenn eine Panik ausbrach, auch schrecklich nahen – Zeitpunkt würde man sie auszahlen müssen.
    William Vandyck Master war zahlungsunfähig. Er hatte Bilanz gezogen. Seine Verbindlichkeiten überstiegen seine Aktiva. Und jetzt, da eine Panik ausgebrochen war, verlangten alle Gläubiger ihr Geld zurück. Er war erledigt.
    Rose hatte er nichts davon gesagt. Er brachte es nicht fertig, was hätte es auch genützt? Also blieb ihm nur noch Gott, um über die Situation zu sprechen. Und er fragte sich, ob Gott nicht vielleicht so freundlich sein würde, ihn da herauszuhauen.
    Wäre er nur den Ratschlägen seines Vaters gefolgt! Tom Masters Traum war von jeher gewesen, dass sein Sohn Bankier werden würde. Ein richtiger Bankier. Und wenn Tom Master »ein richtiger Bankier« sagte, dann wusste William, dass er dabei an einen einzigen Mann dachte.
    J.P. Morgan. Der mächtige Pierpont. Seines Vaters Heros. Seit der Zeit, da er angefangen hatte, die Eisenbahnen zu reorganisieren, war der große Bankier auch in die Schifffahrt, in den Bergbau, in die verschiedensten Sparten industrieller Produktion eingestiegen. Als er durch mehrere Fusionen den Stahltrust United Steel gründete, wurde dieser zum mächtigsten Industrieunternehmen, das die Menschheit je gekannt hatte. Die Macht seiner Bank, das »House of Morgan«, war riesig, und durch ihre Beteiligungen kontrollierte sie Unternehmen im Wert von weit über einer Milliarde Dollar.
    Morgans Einfluss war weltumspannend. Er herrschte – und lebte – wie ein König. Und wie ein König wurde er auch gefürchtet. Vielleicht sogar noch mehr als das. »Jupiter« nannten ihn die Männer von der Wall Street.
    Als William noch in Harvard studierte, hatte Tom Master es geschafft, ihm ein Vorstellungsgespräch bei dem großen Mann zu besorgen. William hatte vor Angst geschlottert, doch Morgan hatte ihn wissen lassen, dass er ihn an dem Abend in seinem Haus in der 36th Street empfangen würde, und als er vorgelassen worden war, hatte er den Bankier in sanftmütiger Stimmung angetroffen.
    Morgan saß an einem langen Tisch. Die Vorhänge waren zugezogen, die Lampen brannten. Seine hohe Gestalt, sein Löwenhaupt und seine knollige Nase flößten Respekt ein. Sein zorniger Blick war legendär, doch in der Intimität seines Hauses wirkten seine Augen fast weich. Auf dem einen Ende des Tisches lag ein Stapel antiquarischer Bücher. Auf dem anderen stand ein noch verpackter antiker Marmorkopf, und auf einem dunklen Tuch befand sich eine Kollektion von Edelsteinen – Saphire, Rubine und Opale – die im Lampenlicht sanft glühten. In der Mitte des Tisches lag aufgeschlagen ein illuminiertes mittelalterliches Manuskript, das der große Mann gerade betrachtet hatte.
    »Sehen Sie sich das an«, forderte er den jungen William auf.
    William blickte auf die kunstvoll ausgemalte Seite. Die Farben waren satt. Das Blattgold strahlte einen mystischen Schimmer aus.
    »Es ist wunderschön, Sir.« Er hatte gehört, dass Morgan einen Gutteil der ungeheuren Profite der Bank für den Ankauf alter Bücher ausgab.
    »In der Tat«, murmelte Morgan, dann riss er den Blick von diesem Schatz los und richtete ihn auf seinen Gast. »Wir wollen uns setzen.« Er deutete auf zwei Ledersessel vor dem Kamin. Sobald sie Platz genommen hatten, kam er zum Thema. »Wie ich von Ihrem Vater höre, interessieren Sie sich für Maschinen.«
    »Ja, Sir.«
    »Ingenieursstudium?«
    »Es ist nur ein Hobby.«
    »Mathematik?« Die Augen funkelten und waren jetzt auf ihn gerichtet.
    »Maschinen liegen mir mehr als Zahlen.«
    »Was liegt Ihnen sonst noch?«
    William zögerte. Er war sich nicht sicher. Morgan beobachtete ihn nicht unfreundlich.
    »Wenn Sie etwas Konkreteres haben, können Sie mich wieder besuchen«, sagte er. Und dann stand er auf. Die Audienz war beendet.
    »Danke, Sir«, sagte William, als er den Raum verließ.
    »Wie ist es gelaufen?«, fragte ihn sein Vater bei seiner Heimkehr gespannt.
    »Er sagte, ich könnte ihn ein andermal wieder besuchen.«
    »Wirklich? Das

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