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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ist ja famos, William! Ganz famos!«
    Und tatsächlich, begriff William, war der große Mann absolut fair zu ihm gewesen. Morgan brauchte weniger als eine halbe Minute, um mit vollkommener Klarheit zu erkennen: Dieser junge Mann hatte keine Ahnung, was er wollte, keinen brennenden Ehrgeiz, kein besonderes Talent, keine Qualifikationen – mit einem Wort, nicht das Geringste, was der Morgan-Bank hätte von Nutzen sein können. Also vergeudete er keine Zeit. Komm wieder, gab er ihm zu verstehen, wenn du was zu bieten hast. Und er hatte recht.
    Doch zum Leidwesen seines Vaters ging William nie wieder hin.
    Mehrere seiner Freunde waren in Maklerfirmen eingestiegen, andere in Treuhandgesellschaften. »Wenn Morgan dich übernimmt, schindest du dich für ihn zu Tode«, warnten sie ihn. Und tief in seinem Herzen wusste er sowieso, dass Morgan ihn nicht nehmen würde. Aus welchem Grund hätte er das auch tun sollen?
    Monate vergingen, und er ließ die Angelegenheit stillschweigend im Sande verlaufen. Sein Vater war enttäuscht, sagte aber nichts.
    Und in den folgenden Jahren hatte er sich gar nicht so schlecht gemacht. Mittlerweile war er Partner in einer Maklerfirma. Er spekulierte ein bisschen, aber das richtige Geld war bislang aus seiner Beteiligung an einer Treuhandgesellschaft gekommen.
    Treuhandgesellschaften boten eine gute Möglichkeit, einen Haufen Geld zu verdienen. Ursprünglich waren sie mit dem Ziel gegründet worden, für alteingesessene reiche Familien wie die Masters Mündelgelder zu verwalten. Wenn beispielsweise ein noch nicht geschäftsfähiger oder zu junger Enkel oder Großneffe eine große Summe erbte, so wurde diese in die Hände eines Treuhänders gegeben, der sich für eine bestimmte Zeit darum kümmerte, bis sie schließlich vollständig ausgezahlt wurde. Diese Zeitdauer konnte je nach den im Testament festgelegten Bedingungen durchaus etliche Jahre betragen. Treuhandfirmen waren also solide, konservativ – mit anderen Worten: vertrauenswürdig. Zumindest der Grundidee nach.
    Dann aber fanden erfinderische junge Burschen heraus, dass solche Vereinbarungen durch eine Gesetzeslücke aufgeweicht wurden. Die Treuhandfirmen konnten zusätzlich zum ihnen anvertrauten Vermögen auch anderweitig Geld aufnehmen und nach Gutdünken investieren. Wie eine Bank operierend, aber nicht den gesetzlichen Bestimmungen unterworfen, denen eine richtige Bank unterlag, boten sie überhöhte Darlehenszinsen an, um zusätzliches Kapital anzulocken, und führten damit die gewagtesten Spekulationen durch. Kurzum, trotz ihrer seriös klingenden Namens handelte es sich bei den meisten dieser Firmen um Piraten. Richtige Bankiers, Männer wie sein Vater, betrachteten Treuhandfirmen mit Argwohn.
    »Wie hoch ist bei euch Burschen das Barguthaben denn so?«, hatte Tom Master ihn einmal gefragt.
    »Oh, völlig ausreichend«, sagte er, meinte damit jedoch: praktisch null.
    »Neulich habe ich auf einem Empfang Pierpont Morgan getroffen«, fuhr sein Vater fort. »Ich fragte ihn, welchen Rat er einem jungen Mann in einer Treuhandfirma geben würde. Weißt du, was er sagte? ›Steig aus!‹«
    Nun, Pierpont Morgan war inzwischen halb im Ruhestand. Einen Gutteil seiner Zeit verbrachte er damit, die Episkopalkirche und deren Liturgie zu unterstützen. Er hatte ganz in der Nähe seines Hauses eine prächtige Bibliothek errichtet, in der seine märchenhafte Sammlung von kostbaren Büchern und Edelsteinen aufbewahrt wurde. Jedes Jahr fuhr er nach Europa, um mit unschätzbaren Kostbarkeiten zurückzukehren – alten Meistern, griechischen und ägyptischen Kunstwerken, mittelalterlichem Gold. Meist gab er seine Schätze einfach direkt an das Metropolitan Museum weiter. Sein Sohn Jack Morgan, selbst ein erstklassiger Bankier kümmerte sich um das Tagesgeschäft.
    Der große Mann mochte ihn verachten, aber zumindest, dachte William lange Zeit, ging es ihm finanziell recht ordentlich. Die Kurse waren meist gestiegen. Die Treuhandfirma hatte ein Vermögen erwirtschaftet; die Maklerfirma ebenso. Wenn man Geld einnahm, dann bedeutete das doch wohl, dass man es richtig anstellte. Sie nahmen immer weiter Geld auf, das sie durch den Wert der Aktien, die sie hielten, sicherten, und spekulierten dann damit noch ein bisschen weiter.
    Er ritt zwar noch immer auf der Erfolgswelle, als er von dem Rolls-Royce gelesen hatte, aber die ersten Haarrisse zeigten sich bereits im System. In dem Frühjahr, als der Markt angeschlagen und die Kredite knapp gewesen

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