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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gehst.«
    »Ich weiß, Papà« ,sagte Salvatore.
    »Ich bin auch ein Caruso. Ich konnte unmöglich eine brutta figura machen.« Nein, eine Blamage ließ ihr italienischer Stolz nicht zu. Salvatore verstand. Er traute sich sogar, die Hand seines Vaters zu drücken.
    »Du hattest ganz recht, Papá« ,sagte er.
    An dem Tag, an dem sie in die Oper gehen sollte, sagte seine Mutter, dass sie sich nicht wohlfühle.
    »Nimm eins von den Kindern mit«, sagte sie zu ihrem Mann. »Anna vielleicht.« Nachdem er kurz nachgedacht hatte, entschied sein Vater, Salvatore mitzunehmen, da er dabei war, als Caruso ihm die Eintrittskarten schenkte.
    Wie stolz ging Salvatore an der Seite seines Vaters, als sie sich an dem Abend dem Opernhaus am Broadway näherten! Das große Gebäude, das den ganzen Block zwischen der 39th und 40th Street einnahm, sah, fand Salvatore, wie ein Kaufhaus aus. Umso eleganter wirkten die Leute, die es betraten. Voller Bewunderung sah der Junge, wie ein silberfarbener Rolls-Royce nahezu lautlos vorfuhr.
    In diesem Teil der Stadt war Salvatore noch nie gewesen. Er kannte die geschäftigen Straßen des Finanzdistrikts und die Hafenanlagen, aber er bekam selten Anlass, sich nördlich über Greenwich Village hinauszuwagen. Am unteren Ende der Fifth Avenue hatte er schon mal elegante Damen aus ihren Häusern kommen oder hineingehen sehen, doch der Anblick so vieler Menschen in Abendkleidung überwältigte ihn.
    Als sie eintraten, blieb Salvatore die Luft weg. Der riesige Zuschauerraum mit dem mächtigen Kronleuchter sah aus wie ein himmlischer Palast. Ein schwerer Vorhang aus Golddamast verhüllte die Bühne, und auf dem wuchtigen geschwungenen Proszenium standen die Namen großer Komponisten geschrieben. Von Beethoven hatte er schon mal gehört, Wagner sagte ihm nichts. Aber dort prangte, für alle sichtbar, der Name, der jeden Italiener vor Stolz schwellen ließ: Verdi. Und dessen Aida war es auch, die an dem Abend aufgeführt wurde.
    Schon bald begriff er, dass es klug von Caruso gewesen war, ihnen keine teuren Plätze zu schenken, wo jeder in Abendgarderobe gekleidet sein würde. Natürlich trugen sie beide einen Anzug und ein sauberes Hemd – sein Vater hatte sich sogar eine Krawatte umgebunden –, doch während sie sich durch das Gedränge schoben, konnte Salvatore nicht übersehen, dass man ihnen komische Blicke zuwarf. Wenn er tagsüber den reichen Geschäftsleuten die Schuhe wichste, waren sie durchaus freundlich. Jetzt allerdings, da er in ihr angestammtes Territorium eindrang, maßen mehrere Männer ihn und seinen Vater mit eiskalten Blicken. Eine Frau raffte eilig ihren Rock, damit er ja nicht durch ihre Berührung verunreinigt würde, während ihr Mann murmelte: »Verdammte italienische Kanaken.«
    »Unsere Oper mögen sie, Toto, aber uns nicht«, bemerkte sein Vater traurig.
    Als sie ihre Sitzplätze gefunden hatten, stellten sie fest, dass ihre Platznachbarn einfache Italiener wie sie waren – möglicherweise ebenfalls Nutznießer von Carusos Großzügigkeit. Sein Vater begann mit ihnen zu plaudern, aber Salvatore musste daran denken, wie die reichen Leute sie angeschaut hatten. Und er brütete weiter darüber, bis sich der Vorhang hob.
    Der Handlung der Aida zu folgen war nicht weiter schwierig – besonders, dachte er hämisch bei sich, wenn man Italiener war und den Text verstand. Die Prinzessin Aida, in Ägypten als Sklavin gefangen gehalten; ihr Geliebter, der Kriegsheld Radames. Als Dritte im Liebesdreieck die Tochter des ägyptischen Pharao. Doch mit welcher Größe behandelte Verdi das simple Thema! Welch majestätische Märsche, welch aufwühlende Szenen! Mit seiner herrlichen Stimme, strahlend wie nur je ein Tenor, volltönend wie nur je ein Bariton, schlug der Held Caruso das Publikum ganz in seinen Bann. Und für diese Inszenierung hatte die Metropolitan Opera neue Kulissen und Requisiten von unübertrefflicher Pracht anfertigen lassen. Während Salvatore sich der Musik hingab und die Szenen in sich aufsog, spürte er, dass die ganze Herrlichkeit seines heimatlichen Mittelmeerraums, von Italien bis hin zu Afrika, hier versammelt war. Er fühlte sich bis ins Innerste berührt.
    Der vielleicht anrührendste Augenblick kam für den Jungen gegen Ende, als der zum Tode verurteilte Held in einem riesigen Grabgewölbe bei lebendigem Leibe eingemauert wird. Die nur düster beleuchteten, dunklen Wände ragten hart und starr und unerschütterlich wie das Schicksal über ihm empor. Und dann

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