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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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recht vertrautem Fuß stand, doch bei Mädchen aus anständigen Familien schon immer ziemlich schüchtern gewesen war. Sie wussten alle, dass er auf der Schule nichts getaugt hatte und es ihm an Manieren fehlte. Trotz seines großen Vermögens galt er also als kein besonders guter Fang; und das Wissen, dass es sich so verhielt, ließ ihn die eleganten Mädchen umso mehr meiden.
    Aber dieses Mädchen aus Boston war anders. Er hatte das auf den ersten Blick gesehen. Sie war hübsch, dabei ganz ungekünstelt und schlicht. Und lieb. Er hatte durchaus mitbekommen, wie sie sich bemühte, ihm aus seiner Schüchternheit herauszuhelfen, und war ihr dankbar dafür gewesen. Auch wenn er die Bücher, die sie gelesen hatte, nicht kannte, beeindruckte es ihn, wie sie mit ihrem Vater sprach, welche Zuneigung sie dem Anwalt entgegenbrachte. Wie er die Sache sah, besaß sie alle Eigenschaften, die er sich eines Tages bei einer Ehefrau wünschen würde. Während sie sich unterhielten, hatte er sich wiederholt bei der Frage ertappt, ob er tatsächlich ernsthaft hoffen konnte, ein solches Mädchen zu heiraten. Sie war seine Cousine zweiten Grades – diese Beziehung bestand immerhin zwischen ihnen. War es vorstellbar, dass sie ihn mochte, so ungehobelt wie er war? Auch wenn Kate das nicht bemerkte, beobachtete er sie die ganze Zeit aufmerksam. Jedes Mal, wenn im Gespräch seine Unwissenheit offenbar wurde, sagte er sich, dass er ein Narr sei, auch nur an sie zu denken. Jedes Mal, wenn sie lieb zu ihm war, spürte er eine neue Hoffnung in sich aufkeimen.
    Bis sie ihn ausgelacht hatte. Er wusste, dass es nicht absichtlich geschah – was die Sache nur umso schlimmer machte. »Ein Reh was?«, hatte er gefragt, und ohne es zu wollen, war sie laut losgeplatzt. Er konnte es ihr nicht verdenken. Er hatte sich durch und durch lächerlich gemacht. Sie musste ihn ja als einen Bauerntrampel ansehen. Und sie hatte damit vollkommen recht. Es war zwecklos.
    Jetzt kamen sie und ihr Vater zum Abendessen zu ihnen, und sein Vater hatte ihm eingeschärft, sich nicht zu verspäten.
    An der nächsten Straßenecke sah er eine Schenke und trat ein.
    *
    Am Abendtisch herrschte festliche Stimmung. Die ganze Stadt jubelte. Der Drucker Johann Peter Zenger war frei und sein Anwalt Hamilton der Held des Tages. Noch an demselben Abend entstand die Redensart, die noch viele Generationen lang im Umlauf sein sollte: »Steckst du in der Klemme, nimm dir einen Anwalt aus Philadelphia.«
    Dirk Master hatte seinen besten Wein aufgetischt; und Eliot, in euphorischer Stimmung, war gern bereit, ihn zu trinken. Wenngleich das Abendessen normalerweise eine viel leichtere Mahlzeit als das am Nachmittag eingenommene »Mittagessen« war, bogen sich Anrichte und Tisch unter Schüsseln von Austern, gebackenen Venusmuscheln, gesottenem Schinken, kaltem Braten, Zuckerwerk und anderem mehr. Mrs Master wirkte weniger reserviert als am Vortag. Obgleich sie nicht gerade literarisch interessiert war, stellte sich heraus, dass sie und Kate beide begeisterte Leserinnen anspruchsloser Frauenromane waren, und so hatten sie jede Menge Gesprächsstoff.
    Nur eines war rätselhaft. Wo blieb der junge John Master?
    Kate hatte sich viele Gedanken über ihre bevorstehende zweite Begegnung gemacht und ihr unbedachtes Lachen beim vorigen Mal sehr bedauert; es war nicht nur verletzend, sondern auch ungezogen gewesen. Nun war es von jeher Teil ihrer Erziehung gewesen, dass man einen Fehler, wie bedauerlich er auch sein mochte, in aller Regel wiedergutmachen konnte. Sie war daher fest entschlossen, diesmal einen besseren Eindruck zu machen und sich außerdem zu entschuldigen. Die ganze letzte Stunde vor ihrem Aufbruch hatte sie einer gründlichen Vorbereitung gewidmet, sich Gesprächsthemen zurechtgelegt, die ihm, wie sie hoffte, zusagen würden; sie hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, was sie sagen könnte, um den schlechten Eindruck, den sie gemacht haben musste, wettzumachen; und sie hatte ein schlichtes, braun-weiß kariertes Kleid angezogen, das ihr ausgesprochen gut stand.
    Denn zu ihrer eigenen Überraschung stellte sie fest, dass John Masters mangelhafte Bildung sie so gut wie gar nicht störte. Es lag nicht nur daran, dass er wie ein griechischer Gott aussah – wenngleich das, wie sie sich leicht amüsiert eingestand, eine Rolle spielte. Er hatte noch etwas anderes an sich, eine innere Stärke und Aufrichtigkeit, die sie erahnt zu haben meinte, und durchaus auch Intelligenz – verschieden

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