Im Schatten der Tosca
rostigem Blech durcheinanderschütteln. Carlos legte seinen Arm um Elia, schützend und besitzergreifend zugleich. Noch einmal lachte und rasselte es von oben, dann war Georges Goldberg verschwunden.
»Siehst du, ich hab’s dir ja prophezeit, dieses Haus ist immer für eine Überraschung gut«, erklärte nun auch Carlos lachend und zog Elia noch fester an sich.
Der letzte gemeinsame Nachmittag, der letzte Abend, die letzte Nacht. Nur jetzt keine anderen Menschen mehr treffen. Der sicherste Ort war das Zimmer, und der wallende Vorhang über dem Bett erschien Elia nun wie ein weiterer Schutz. Als es dunkel war, schlichen sie wie die Diebe, vorbei an den tafelnden Gästen, zur Eingangstür hinaus. Oben im Ort kannte Carlos ein gemütliches Lokal.
Sie waren beide ganz vergnügt. »Du hast recht gehabt, seit heute Nachmittag geht es mir besser. Jetzt freue ich mich auf Bologna. Ich habe keine Angst mehr davor, mit dir auf der Bühne zu stehen, zwischendurch habe ich mir das gar nicht mehr vorstellen können«, gab Elia zu. Zu Ehren des Abends bestellten sie eine Flasche Champagner. Auf dem Heimweg stolperte und schwankte Elia in ihren hochhackigen Schuhen kichernd über die vielen Stufen und das unebene Pflaster, und Carlos schnaufte und hustete, dass es schon nach Georges Goldberg klang. Sie lachten und lachten, als sollte es nie enden ...
Am nächsten Morgen versank Carlos im Fond eines schwarzen Rolls-Royce, den die Argentinier – samt weiß livriertem Chauffeur – für die Dauer ihres Europaaufenthaltesgemietet hatten und der jetzt den Gatten einer der Damen in Rom vom Flugplatz abholen sollte. Eine wunderbare Gelegenheit für Carlos, sich mitnehmen zu lassen und von dort aus weiterzufliegen. Selbst Elia musste es murrend einräumen, wenngleich sie lästerte: »Ein feiner Herr, das muss man sagen, mit einem exquisiten Autogeschmack. Allerdings stand dir der Bugatti besser zu Gesicht als dieser Leichenwagen.«
Elia fuhr als Erste zum Tor hinaus, gefolgt vom Rolls-Royce, an der Hauptstraße bog sie nach rechts ab und Carlos entschwebte nach links. Sie überließ sich dem vertrauten Vibrieren und Brummen, sie war hellwach, ganz in den Augenblick versunken, und doch war ihr die Hinfahrt mit Carlos Meter für Meter bewusst, jedes Wort, jede Geste, jedes Lachen. Als sie hinter Amalfi an die Abbiegung nach Ravello kam, drückte sie dreimal zum Gruß auf die Hupe. Allein, ohne Carlos in den Ort hinaufzufahren, daran kam ihr nicht einmal der Gedanke.
Bei Tante Ambrosia angekommen, setzte sie sich auf die Terrasse und schrieb als Erstes einen Brief an ihre Freundin Julia in Stockholm. Sie musste ihrem Herzen Luft machen.
»Jetzt übertreibe ich womöglich, und du kannst als kluge Frau nur den Kopf über deine komische Freundin schütteln, aber ich weiß wirklich nicht mehr, wo oben und unten ist«, schrieb sie zum Abschluss. »Lach mich bitte nicht allzu sehr aus, verrate mir lieber, wie ich es anstellen soll, vor Glück nicht zu platzen und dabei nicht gleichzeitig vor Sehnsucht zu vergehen. Deine liebestolle Elia.«
Auch ihrer Mutter erzählte Elia von ihrer Liebesgeschichte, allerdings nicht ganz so überschwänglich. Teresas Kommentar fiel herzerfrischend unverkrampft aus: »Kind, ich habe mir schon Sorgen gemacht, du würdest noch vor lauter Singen als alte Jungfer sterben.« Die anderen Frauen der Familie schienen ähnlicher Meinung, allen voran Tante Ambrosia. Elia war etwas verdutzt, hatte sie einen so erbarmungswürdigen Eindruck gemacht? Sie freuten sich und beglückwünschtenElia, sie fragten nicht einmal, ob sie und Carlos Zukunftspläne hätten.
Es gab nämlich ein Problem, mit dem Elia schließlich doch herausrückte: Carlos hatte als blutjunger Mensch Hals über Kopf seine erste große Liebe geheiratet, Elvira, eine siebzehnjährige Schülerin aus streng katholischem Elternhaus. Kurz zuvor hatte er angefangen, bei dem berühmten Sänger Ernesto Kohn Gesangsunterricht zu nehmen, der seine enorme Begabung rasch erkannte und ihn klug aufzubauen begann. Doch dann kehrte Kohn in seine Heimatstadt Buenos Aires zurück und bot Carlos an, ihn dort weiter zu unterrichten, aber weil Elvira sich weigerte, mit ihm dorthin zu gehen, wurde daraus nichts. Erst als es einem anderen Lehrer fast schon gelungen war, Carlos’ eigentlich unverwüstliche Stimme zu ruinieren, flüchtete er sich doch unter die Fittiche seines alten Meisters. Ohne seine reiseunwillige Ehefrau – und damit war die wunderschöne Liebe dem
Weitere Kostenlose Bücher