Im Schatten der Tosca
Tode geweiht. Nach der Rückkehr aus Argentinien stellte sich heraus, dass sich die beiden Eheleute verdammt wenig zu sagen hatten. Elvira war wieder zurückgeglitten in den Schoß ihrer Familie, und sie hatte einen bodenständigen Mann kennengelernt, der besser zu ihr passte als ein umtriebiger Sänger. Eine Scheidung war in Spanien nicht möglich, und so trennte man sich friedlich und in Ehren von Tisch und Bett und führte wieder sein eigenes Leben.
»Ich habe das von Anfang an gewusst«, gab Elia zu. »Einmal hat Ture die anderen gefragt, was sie vom Heiraten halten, und da hat Carlos uns von seiner komischen Situation erzählt, auf dem Papier immer noch mit einer Art Phantom verheiratet zu sein. Bisher hat Carlos das nicht gestört, manchmal fand er es sogar ganz praktisch, gibt er selbst zu, aber jetzt, meinetwegen, beklagt er seinen jugendlichen Überschwang.«
Die Zuhörerinnen wiegten bedauernd die Köpfe: Ein Jammer, aber Elia hatte richtig gehandelt, mochte sie ihr Glück genießen. Nur in einem Punkt hatten sie eine klare Meinung: Eswar besser, wenn die Männer der Familie von Elias Liebschaft nichts erfuhren. Die Alten hatten sowieso reichlich altertümliche Vorstellungen von der Freiheit der Frauen, aber auch bei den Jungen ließ sich nicht sicher vorhersagen, wie sie reagieren würden. »Wir erzählen auch Robertino nichts«, wurde Elia versprochen.
Von Julia kam überraschend schnell ein Päckchen als Antwort. Obenauf lag ein Brief: »Mein Schätzchen, ich lache dich nicht aus – ich bin ganz schön neidisch. Die große Liebe mit Herz und Schmerz und Mondenschein, für die würde ich auch gern mal den Verstand verlieren ...
Das Einzige, was ich dir raten kann, als ›kluge Frau‹, wie du mich schmeichelhafterweise nennst: Lies die Gebrauchsanweisung auf der Pillenpackung und fang pünktlich an mit dem Schlucken. Wir haben ein Mordsglück, dass es dieses Zeug jetzt gibt. Ich habe dir eine Dreierpackung beigelegt ... Ich küsse und umarme dich, deine nolens volens ›vernünftige‹ Julia.«
Die restliche Ferienzeit war Elia in das erneute Studium ihrer Elisabetta vertieft. Jedes einzelne Wort, jeden Takt der Partitur kaute sie noch einmal durch, als habe sie nicht alles bereits mit Mariana und Signor Ruteli studiert. Es gab mehrere Gründe für diesen besessenen Eifer. Einer davon war Carlos.
Ein Bühnenpartner, mit dem man eine ganz reale Beziehung führt oder auch: auf der Bühne die fingierte, hier die echte Liebe – darüber hatte sich Elia schon in Ravello wundern müssen. Damit hatten sie auch gegen die feste Regel verstoßen, den Schein nicht mit der Wirklichkeit zu vermischen. Allerdings hatte die Vertrautheit mit dem Partner und vor allem die Erfahrung, sich auf ihn verlassen zu können, ihnen beiden die Offenheit und Hingabe in der Liebe leichter gemacht.
Doch jetzt hatte Elia Angst, ob es ihr gelingen würde, auf der Bühne wieder die nötige Distanz aufzubauen. Um das zuerreichen, so fühlte sie, musste sie so eng wie möglich mit ihrer Bühnenfigur verwachsen und darüber hinaus technisch vollkommen sattelfest sein. Das hatte ihr schon Mariana immer wieder eingebläut: Technische Sicherheit und Rollenbeherrschung waren das probateste Mittel gegen Nervenkrisen aller Art.
Auch Georges Goldberg hatte ihren Ehrgeiz angestachelt. Der soll sich wundern, dachte sie. Nichts, rein gar nichts von unserer persönlichen Beziehung wird bei der Elisabeth und dem Don Carlos durchschimmern. Für was hält der uns?
Durch ihre eigenen neuen Erfahrungen waren ihr Verständnis und ihr Mitgefühl für die Elisabeth noch gewachsen. Die Brutalität, mit der dieses liebenswürdige, ernsthafte Menschenkind zwischen den Mühlsteinen der Macht zermahlen wurde, schmerzte sie geradezu körperlich. Von Kindesbeinen an hatte die Staatsraison Elisabeths und Carlos’ Leben bestimmt, und sie hatten dagegen niemals aufbegehrt, im Gegenteil, gerade Elisabeth identifizierte sich mit ihrer Rolle als Verlobte des Infanten von Spanien und als Tochter des Königs von Frankreich. Doch im Geheimen waren die beiden jungen Leute ins Träumen geraten: Wie mag der Partner aussehen, wird er lieben oder geliebt werden wollen? Und das waren mehr als nur jugendlich-romantische Anwandlungen. Carlos und Elisabeth wollten ihre Aufgabe gut und getreulich erfüllen und spürten, dass dafür nicht nur ihr Kopf, sondern auch ihr Herz einverstanden sein musste.
Als sie sich dann gleich bei der ersten Begegnung ineinander verliebten,
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