Im Schatten der Tosca
waren sie überglücklich. Mit dem Knistern und Flackern des Bühnenfeuers, das Don Carlos im Wald angefacht hatte, zu reizend verschnörkelten Tönen der Geigen, begann die Verzauberung. Ein zärtliches Bangen, sich Suchen, ein verzücktes sich Finden, alle Ängste verflogen, immer inniger verschlangen sich die Stimmen, hin zur jubelnden Gewissheit, von Gott füreinander bestimmt zu sein. In seinem Namen schworen sich die Liebenden ewige Treue. Fürein paar Augenblicke reinen Glücks war die Zeit stehen geblieben. Und schon schnürte das Schicksal den Knoten für das kommende Unglück.
Je mehr sich Elia mit dieser Stelle beschäftigte, desto dringender verspürte sie das Bedürfnis, diesen magischen Moment ekstatischer Seligkeit so zum Ausdruck zu bringen, dass man auch das Utopische mitschwingen hörte, das hier beschworen wurde. Was sie dazu brauchte, waren Leichtigkeit, Klarheit und Herzenskraft.
Elia hatte beschlossen, den Bugatti wieder in Rom unterzustellen und mit dem Zug nach Bologna weiterzufahren. Denn im Laufe der kommenden Wochen konnte es schon kühl werden, zumindest abends, und sie musste sich nicht unbedingt in einem offenen Wagen den Tod holen. Lino Petruzzi, der beim ›Don Carlos‹ wieder Regie führen würde, holte sie am Bahnhof ab und überschüttete sie gleich mit einem Redeschwall: »So, das erste Durcheinander haben wir schon hinter uns. Fräulein Margita Djinkovic hat auf ihren Status als eine der Hauptrollen gepocht und auf einem Luxushotel bestanden, und jetzt bist du auch dort untergebracht, zusammen mit den meisten anderen. Tut mir leid, aber die Eboli kann nicht nobler hausen als die königliche Sippe, wo kämen wir da hin?«
Elia konnte nur den Kopf schütteln, sie selbst war nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sie inzwischen als Elisabeth in der Opernrangordnung höher stand als damals als Oscar. Sie hatte eigentlich wieder in ihrer alten Pension wohnen wollen und sich auf ihr Dachstübchen gefreut, auch gehofft, ihren Freund, den dicken Kater, wiederzusehen. Sie fand die Veränderung höchst überflüssig.
Das elegante Hotelzimmer gefiel ihr: Blumengestecke, edle Möbel, ein prachtvolles Bad, dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Aber dafür focht man keine Machtkämpfe aus, davon hing nicht der Wert eines Künstlers ab! Während sich Elia in ihrem Zimmer umsah, fühlte sie, wie ein ungutes Gefühl in ihr hochkroch, Unmut, geradezu Ärger, aber auch Wehmut.Sie sah den gemütlichen, etwas schäbigen Frühstücksraum in der Pension vor sich, Pierluigi mit seinen feinen Schühchen, Giancarlo, der sie mit ihrem nächtlichen Verehrer aufzog, ihre vielen Väter, die sie umflatterten und ihr auf der Bühne getreulich zur Seite standen.
Wie lange war das jetzt her, zwei Jahre etwa? Sollte das alles vorbei sein, für immer? Stockholm lag so weit außerhalb der italienischen Opernwelt, war wie ein in sich geschlossener Schutzraum, dass es Elia zum ersten Mal bewusst wurde, welche enorme Wegstrecke sie in der Zwischenzeit zurückgelegt hatte. Aufseufzend ließ sie sich auf einen der damastbezogenen Sessel fallen, mit den Fingerspitzen fuhr sie über das Muster des Stoffs. Doch plötzlich musste sie lachen, sie gab dem Sessel einen Stups und sprang energisch auf die Füße: »Ja und? Die Zeit ist nicht stillgestanden, zum Glück! Und Elisabetta, Königin von Spanien, gebührte das schönste Zimmer der Stadt!«
Und Carlos, der wirkliche, der echte, wo war er? Seinetwegen war sie schon vor Probenbeginn hierhergekommen, wenigstens dieser kostbare, noch von allen Pflichten freie Tag sollte ihnen ganz alleine gehören! Elia riss das Kuvert auf, das in einem Strauß roter Rosen steckte: »Geliebte Königin meines Herzens, noch heute Abend eile ich in deine Arme. Lino hat mir versprochen, dass wir zwei Zimmer nebeneinander haben werden, mit einer Verbindungstüre! Wenn die nicht da ist, brechen wir ein Loch in die Wand. Voller Ungeduld, dein Carlos.« Erst jetzt entdeckte sie eine kleine Tür in der Wand, die ihr nicht aufgefallen war. Sie machte die Tür auf, dahinter lag noch eine Tür, auch sie war nicht verschlossen. Sie führte in das benachbarte Zimmer. Elia zog die beiden Türen wieder zu, ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
Den restlichen Tag getraute sie sich nicht aus dem Hotel, aus Angst, Carlos zu verpassen. Sie traf sich mit Lino, und sie gingen im Hotelrestaurant zusammen essen. Anschließend verzog sie sich auf ihr Zimmer. Fast bis Mitternacht wartete sie, dann kroch sie
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