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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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müde und traurig ins Bett. Aber noch bevor sie dieAugen richtig zugeklappt hatte, klopfte es an die Verbindungstür: Carlos, strahlend und munter, war doch noch gekommen. Endlich, endlich, endlich. »Alles ist schiefgegangen, zum Schluss habe ich in Mailand ein Taxi genommen, schließlich sind wir ja für heute verabredet«, meinte er lachend.
    Erst am späten Vormittag verließen sie beide ihre Zimmer, jeder durch die eigene Tür. Carlos kannte Bologna noch nicht, Elia spielte beschwingt den Fremdenführer. Es stellte sich heraus, dass sie sich bei den Kneipen und Gaststätten besser auskannte als bei Kirchen und Denkmälern. Sicherlich bliebe ihnen nur wenig Zeit, um die Stadt näher kennenzulernen, bei den anspruchsvollen Rollen und dem dichtgedrängten Probenplan. Umso mehr genossen sie die Ruhe vor dem Sturm.
    Gegen Abend wurde Elia nervös. Eigentlich musste sie sich so langsam auf den ersten Probentag einstellen, das war inzwischen ein festes Ritual. Sie spazierte dann gemächlich in der Wohnung umher, aß eine Kleinigkeit, suchte ihre Kleider zusammen, die Noten, alles, was sie im Laufe des Tages brauchte, und ging dann rechtzeitig ins Bett, schließlich wollte sie ein neues Opernabenteuer frisch und ausgeschlafen beginnen.
    Etwas zögerlich begann sie, Carlos von diesen Vorbereitungen zu erzählen, er tat zwar verständnisvoll, aber Elia sah ihm an, dass er nicht ganz begriff, um was es ihr ging. Wahrscheinlich hielt er es für eine nette Umstandskrämerei, eine von den Marotten, wie sie viele Künstler pflegen, und da wollte er nicht im Wege stehen. Ganz im Gegenteil, seine Stimme klang fürsorglich, er schaute sogar immer wieder auf die Uhr und mahnte gleich nach dem Essen zum Aufbruch, so dass Elia schließlich gereizt ausrief: »Verdammt noch mal, du brauchst das alles offenbar nicht. Dabei fangen für dich doch auch morgen die Proben an.«
    Carlos lächelte nachsichtig: »Ach, weißt du, ich bin ein alter Zirkusgaul. Weck mich, wenn es sein muss, mitten in der Nacht, und ich trabe brav meine Runden.«
    Das »alt« klang für einen Dreißigjährigen etwas kokett, aber in der Sache hatte Carlos recht: Seine Kraftreserven schienen unerschöpflich, im Leben und bei der Arbeit. Bei der ›Tosca‹ hatte sich Elia darüber keine Gedanken gemacht, aber jetzt steckten sie Tag und Nacht zusammen und waren im ersten Akt, der fast ausschließlich aus den Duoszenen Elisabeth – Carlos bestand, mit den gleichen seelischen und körperlichen Anforderungen konfrontiert.
    Carlos schonte sich dabei nicht unbedingt; wo es nottat, lieh er dem empfindsamen, nervösen, hitzigen Infanten großzügig seine eigene Lebenskraft. Allerdings ging er dabei ökonomisch vor, er markierte, deutete an, zumal zu Anfang der Proben. Und vor allem: Kaum war eine Szene zu Ende, schüttelte er die Erschütterung seines Helden von sich ab, er gähnte und streckte sich, manchmal schnorrte er sogar eine Zigarette, da musste er aber richtig aufgewühlt gewesen sein. Ja, und dann ging er zur Tagesordnung über.
    Elia hingegen kam mit kluger Zurückhaltung und Ökonomie nicht zurecht, sie brauchte von Anfang an den intensiven Kontakt mit ihrer Heldin, nur so konnte sie deren Gefühle, Gedanken und Reaktionen erspüren und nachvollziehen. Jetzt, beim ›Don Carlos‹, forcierte sie das noch, um ihre Bühnenfigur nur ja nicht mit ihren persönlichen Gefühlen zu dem leibhaftigen Carlos zu belasten und zu verzerren. Und anschließend ebbte ihre Erregung oft erst nach Stunden ab – oder sie fühlte sich schlagartig zu Tode erschöpft.
    Bisher hatte sie das nicht gestört. Wenn sie müde war, kroch sie einfach ins Bett, egal, wie viel Uhr es war. Sonst ging sie mit den Kollegen oder mit Freunden zum Essen, man quatschte, entspannte sich, kam wieder zu sich – und niemand erwartete besondere Geistes- oder Herzensblitze. Später, an den Vorstellungstagen, herrschte sowieso ein absoluter Ausnahmezustand, da mochte Elia nicht einmal ans Telefon gehen, nicht nur der Stimme wegen, sie wollte einfach ihre Ruhe haben. Ausgerechnet durch Carlos geriet dieser wunderschöne,vielleicht etwas betuliche Frieden durcheinander! Nicht, weil er Forderungen stellte. Nein, Elia selbst brachte sich in die Zwickmühle. Zu Anfang der Proben hatte sie versucht, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, doch im Trubel der folgenden Tage und Nächte ließ sich das nicht lange durchhalten. Bald wusste sie nicht mehr, ob es nicht von Verbohrtheit oder Zimperlichkeit zeugte, wenn

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