Im Schatten der Tosca
sie auf Gewohnheiten bestand, die sich in der Stockholmer Abgeschiedenheit bewährt haben mochten, aber zu der jetzigen Situation nicht mehr passten.
Bei der Arbeit schien es ihr immer noch angebracht, sich Carlos gewissermaßen vom Herzen zu halten. Aber dann galt es umso mehr, jede Minute der kostbaren Zeit mit ihm zu genießen! Carlos hatte keine Schwierigkeiten, die Liebe und die Arbeit miteinander zu verbinden, im Gegenteil, bei ihm ergänzten sie einander. Das musste doch auch ihr gelingen! Sie war jung und gesund und mindestens so verliebt und arbeitswütig wie Carlos, sie musste doch wohl mit ihm Schritt halten können. Am Ende der Proben zum ersten Akt pries sie den Umstand, dass die Elisabeth erst einmal für mehrere Szenen von der Bühne verschwand. Während Don Carlos mit dem Posa zugange war und die Eboli ihre Netze auszuwerfen begann, durfte Elia ungestört faulenzen. Sie gab sich genüsslich dem Nichtstun hin, sie schlief nach Herzenslust aus, bestellte sich das Essen aufs Zimmer. Manchmal trödelte sie immer noch im Morgenrock herum, wenn Carlos von der Probe zurückkam. Der zögerte nicht lange und zog Elia ins Bett. Sie waren so glücklich wie in Ravello.
Die weiteren Proben ging Elia gelassener an. Plötzlich fand sie es sehr spannend, die eigenen Gefühle beiseitezuschieben, während bei Elisabeth und Don Carlos die gewaltsam unterbundene Liebe gegen ihren Willen durchschimmerte und sich Elisabeth heldenhaft dagegen wehrte und jede unerlaubte Regung in sich niederrang. Diese doppelte Brechung gefiel ihrund forderte sie darstellerisch zu einem delikat ausbalancierten Spiel heraus. Mit der offen liebenden Elisabeth hatte sie ihre Schwierigkeiten gehabt, jetzt lösten sich auch die letzten Bedenken auf.
Enrico Tarlazzi sang den Philipp. Als Elia ihm nun zum ersten Mal als gleichwertige Partnerin auf der Bühne gegenüberstand, wurde ihr ganz schwach vor Ergriffenheit. Auch Enrico war gerührt. Mitten in seinem gemeinen Verdikt gegen Elisabeths unselige Gefährtin, die Gräfin Aremberg, hielt er inne, ging auf Elia zu und nahm sie in die Arme: »Jetzt ist das ernste kleine Mädchen von der Banda also meine Frau, mein Gott, Elia. Und dann muss ich gleich so fies zu dir sein, das ist nicht recht.« Elia nickte stumm: Es tat in der Seele wohl, mit Menschen auf der Bühne zu stehen, die sie liebte und mochte.
Vertrautheit half über viele Schwierigkeiten hinweg. Das merkte sie bei Lino, einem umgänglichen, vernünftigen Menschen, der nicht stur auf originellen Regieeinfällen bestand, sondern mit sich handeln ließ, wenn Elia einmal nicht mit seinen Anweisungen zurechtkam.
Giancarlo Morante war auch ein Glücksfall. Anders als die meisten Dirigenten war er sich nicht zu schade, bereits bei den szenischen Proben mit dabei zu sein. Er mischte sich zwar kaum ein, gab nur hin und wieder Anregungen und ließ die Sänger erst einmal ihre eigenen musikalischen Vorstellungen entwickeln. Doch allein durch seine Anwesenheit vermittelte er ein Gefühl von Sicherheit und Kontinuität. Es beruhigte enorm, ihn jederzeit fragen zu können – und zu wissen, dass nicht später bei den Proben mit dem Dirigenten alles, was man sich kunstvoll zurechtgelegt hatte, womöglich wieder über den Haufen geschmissen wurde.
Die Begegnung mit Signora Margita Djinkovic brachte eine andere Erfahrung. An ihr war alles übertrieben, ihre helmartig hochtoupierten, gelbblond gefärbten Haare, der Schmuck, der an jeder nur erdenklichen Stelle funkelte und klirrte, ihre wogende Körperfülle, sogar ihr Zwergpinscher, der jeden Tagein neues, zu den Gewändern seiner Herrin assortiertes Halsband, manchmal sogar ein Mäntelchen trug und sogar zu den szenischen Proben mitdurfte, wo er brav unter dem Stuhl von Margitas persönlicher Garderobiere, Sekretärin, Assistentin schlief.
Zum ersten Mal erlebte Elia eine »ausgebuffte Singezicke«, wie Lino sie nannte. Schon das Getue mit dem Zimmer hatte Mühsal verheißen, doch jetzt stellte sich auch noch heraus, dass es sich bei der Eboli um den strahlenden Mittelpunkt der ganzen Oper handelte. Da nicht einmal Frau Djinkovic die Partitur umschreiben konnte, forderte sie in den ihr zugedachten Szenen ungeteilte Aufmerksamkeit ein.
Bisher waren die Proben sehr friedlich verlaufen, plötzlich wurde geschmeichelt und gedroht und geschachert. Gerade Elia, die eine Reihe gemeinsamer Szenen mit der Eboli hatte, bekam das zu spüren. Manchmal hatte der arme Lino seine liebe Mühe, die
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