Im Schatten der Tosca
fassen. Die Scala, der heiligste Tempel inder großen, weiten Opernwelt, einfach vernichtet. Gar nicht vorstellbar, eine solche Schandtat.
Bald jedoch erwachte eine verzweifelte Trotzreaktion: nun gerade. Auch in Mailand dachte man offenbar so. Schon wenige Tage später sickerte nach Salzburg die Meldung durch: Wir spielen weiter, im Teatro lirico. Auch die drei Freundinnen beschlossen, unerschrocken durchzuhalten.
Von Salzburg reiste Mariana nach Wien und dann weiter nach München, wo die Proben für die ›Frau ohne Schatten‹ begannen. Viele Jahre zuvor hatte sie in dieser Oper die Amme gesungen und sang sie auch jetzt noch leidenschaftlich gern. Diesmal jedoch sollte sie die Färberin übernehmen. Mariana stürzte sich mit Begeisterung und Bravour in das Wagnis dieser hochdramatischen Partie. So wie sie jetzt sang, traute sie sich fast alles zu, irgendwie gab es für sie keine festgelegten Rollenbegrenzungen mehr.
Dann kam eine Nacht Anfang Oktober. Wieder einmal heulten die Sirenen, schon im Luftschutzkeller war zu verspüren, was für ein langer, schwerer Bombenhagel unmittelbar über der Stadt niederging. Als Mariana schließlich ganz benommen wieder nach oben tappte, verschlugen ihr beißender Rauch und Qualm den Atem. Überall brannte und loderte es, unter Sausen und Krachen fielen Dächer und Hauswände in sich zusammen.
Mariana wohnte mitten in der Stadt, und ohne nachzudenken, sie wusste gar nicht warum, lief sie hinüber zur Oper. Haushohe Flammen schlugen aus dem Dach, sie loderten und waberten zwischen den Säulen hervor, wehende, undurchdringliche Feuervorhänge. Mariana schossen die Tränen in die vom Rauch geröteten Augen, aber bei aller Trauer und Verzweiflung bestaunte sie auch die erhabene Schönheit, mit der das geliebte Haus hier verglühte. Das brennende Rom, musste Mariana denken, kein Wunder, dass Nero bei dessen Anblick in wilder Begeisterung sang.
In dieser Nacht verbrannte für Mariana zusammen mit dem Opernhaus auch ihre Hoffnung, mitten in einem vom Krieg gebeutelten Land weitersingen zu können. Selbst nach der Zerstörung der Scala hatte sie noch gedacht, dass die Kunst die Menschen gerade in schlimmen, wirren Zeiten zu trösten und zu erheben vermochte, ja dass es geradezu eine ihrer Aufgaben war, das zu tun. Jetzt wusste sie nicht mehr, wie es sich damit verhielt.
Einige Sängerkollegen waren auch hierher geeilt, wie verstörte Tiere, die mitansehen müssen, wie ihre Heimat in Flammen aufgeht, drängten sie sich nahe aneinander. Tapfer wehrte sich das stattliche Gebäude gegen seinen Tod, doch die gierigen Flammen fanden immer neue Nahrung, loderten gen Himmel, bis zu den Sternen hob der Feuersturm die stiebenden Funken. Schließlich gaben die ersten Balken ächzend nach, bis nach vielen Stunden der Dachstuhl schauerlich donnernd in die Tiefe krachte.
Mariana hatte einige Wochen für den Münchner Aufenthalt eingeplant. Die lagen nun plötzlich vor ihr als sinnlose freie Zeit. Sie wusste nicht mehr, was sie damit anfangen sollte. Ihr Hotel war wundersamerweise so gut wie unversehrt geblieben, und irgendwann ging sogar das Licht wieder an. Mühsam zerrte sie das Radio vom Nachttisch auf ihr Bett, das Kabel war recht kurz, aber es reichte gerade, und verkroch sich mit ihm unter die Bettdecke. Sie schaltete Radio London ein. Was sie zu hören bekam, klang abenteuerlich, vor allem die Nachrichten aus Italien. Mussolini war inzwischen wieder befreit, der König geflohen und die Deutschen hatten sich in Rom eingenistet, das wusste Mariana bereits. Doch von Kämpfen südlich von Rom zwischen den Deutschen und den anrückenden Alliierten hörte sie zum ersten Mal. Mariana hob den Telefonhörer hoch, die Verbindung kam tatsächlich zustande, Triumph der Technik: »Ja, ja, Rom steht noch, es geht uns prächtig, aber komm um Himmels willen nicht hierher, das ganze Land starrt vor Waffen.«
Am nächsten Tag trieb Mariana in einer Notunterkunft den Verwaltungsdirektor auf, er verfasste für sie ein hochtrabendes Schreiben: »… in dringender Mission ... Kontaktgespräche zwecks Übernahme einiger Münchner Produktionen durch die römische Oper . . .« Das Ganze auf vergilbtem Büttenpapier, verziert mit einigen sonderbaren, uralten Marken, das offizielle Briefpapier und die schönen Stempel waren zusammen mit dem Betriebsbüro verschmort. Mariana rollte das Schreiben zusammen wie eine Bulle aus Pergament, es fehlte nur noch ein prächtiges Siegel. Jetzt hatte sie eine Art
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