Im Schatten der Tosca
sich sehr dafür: Noch der falscheste Barockengel ergab kistenweise gutes Corned Beef und viele Stangen Zigaretten. Immerhin ging es nicht um einen plumpen Betrug, stets war die schöne Fälschung kunstvoll eingewickelt in eine herzzerreißende Geschichte, in der verarmte Adelige, verzweifelte Mütter oder hungernde Nonnen sich unter Tränen von ihren wertvollsten Schätzen trennten, selbstverständlich unter der Bedingung, dass sie in gute Hände kamen: »Sonst verhungern wir lieber.« Dieser unter Augenrollen, Gesten und Seufzern dargebotene Bericht machte die eigentliche Gegenleistung für die Naturalien aus: Auf seine Ehre ließ ein Römer nichts kommen.
Jawohl, man hatte Lebensart in der ewigen Stadt. Das empfand auch Mariana. Zumal Pietros Familie die beiden Neuankömmlingegleich rührend besorgt unter ihre Fittiche nahm. Vor allem Silvana, die gleich um die Ecke wohnte, erwies sich als große Hilfe. Mit dem Hinweis auf die Bekehrungschance einer verirrten Seele meldete sie den evangelisch getauften Massimo bei den Patres an, zu denen auch Stefanos und Esmeraldas Söhne, Bruno und Umberto, in die Schule gingen, sie überredete die tüchtige Marta, die eigentlich nur ihre Kusine Esmeralda hatte besuchen wollen, sich um Marianas Haushalt zu kümmern, und sie machte sich auf Wohnungssuche im Viertel, denn Massimo, darüber war man sich einig, sollte möglichst nahe bei den anderen Kindern aufwachsen – welch ein Glück, dass er sie schon von klein auf kannte und von Anfang an gut mit ihnen zurechtkam, vor allem mit Stefano und Umberto, die kaum älter waren als er.
Die ersten paar Monate hauste die kleine Familie in Pietros Wohnung, dann fand sich ein Zusatzquartier, ein entzückendes Häuschen inmitten wuchernder Gärten, gleich hinter Silvanas großer Wohnung in der Via Margutta und dem Hügel der Villa Borghese. Es gehörte zu einer Gruppe von Künstlerateliers, zu denen man durch einen engen Gang unterhalb eines düsteren Hinterhauses und über eine dahinterliegende, sich den Hügel emporschlängelnde, moosbewachsene Treppe gelangte. Ein richtiges Gartenlaubenidyll im Herzen des alten Rom. Leider fauchte der Wind arg durch die Ritzen. Nun gut, selbst in einem Provisorium konnten ein paar neue Fenster nicht schaden, so befanden alle, und wenn man schon dabei war, sollte man auch eine Heizung einbauen, und auch das Bad ließ zu wünschen übrig.
Bald war es wirklich gemütlich, allerdings immer noch etwas eng. Aber Massimo war sowieso nur selten da, ständig verschwand er ins Vorderhaus zu den anderen Kindern. Sie lungerten gerne bei den Amerikanern herum, dort schnappten sie ein paar Brocken Englisch auf, vor allem aber Schokolade, Kaugummi und sogar Zigaretten, die sie dann geschäftstüchtig auf dem Schwarzmarkt verhökerten. Einmal warengerade Diebe in das amerikanische Lebensmitteldepot eingebrochen, unter Motorradgeknatter und Sirenengeheul erschienen italienische Polizisten und behinderten mit ihrem Getöse die Feldpolizei bei der Spurensuche. Die Kinder beäugten das Ganze aus der Ferne, sie hatten genau gesehen, wo ein Teil der Beute von den Dieben auf der Flucht fortgeworfen worden war, dort, hinter ein paar Sträuchern, jetzt galt es nur noch, unauffällig dahin zu gelangen. Wer achtete schon auf drei nette brave Buben? Selbst als die irgendwann etwas steifbeinig davonstelzten, drehte sich niemand nach ihnen um. Erst zu Hause zogen sie ihre Beute unter den Pullovern und aus den Hosenbeinen hervor: mehrere Tafeln Schokolade und einige Packen Butter, beides durch die Körperwärme bereits leicht verformt, zwei Stangen Zigaretten und fünf Pfund Kaffee – ein Vermögen! Sollte das wirklich alles auf den Schwarzmarkt wandern? Oder sollten Esmeralda und Marta endlich wieder einen echten Bohnenkaffee bekommen? Die beiden waren zunächst sprachlos, dann fragte Esmeralda zögernd: »Habt ihr das gestohlen?« Als die Kinder treuherzig verneinten, meinte sie: »Na, dann holt mal die Kaffeemühle.«
Auch die Großeltern besuchte Massimo. Anders als den anderen Kindern gefiel es ihm in den düsteren, hohen Räumen. Schon wenn er den schweren Türklopfer gegen das gewaltige Eingangstor klappern ließ, freute er sich, er war gerne mit älteren Menschen zusammen, daran war er gewöhnt, von Kindesbeinen an, auf sie konnte er sich verlassen.
Die Großmutter zeigte ihm Fotoalben, da gab es ordenbehangene Herren und elegante Damen mit wagenradgroßen Hüten, aber sie sagte nicht einfach, das ist ein Admiral, das
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