Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
wohl eher eine Sache der Justiz, wenn Frau Solvay ihre Tochter verstecken muss, aus Angst, dass ihr das Gleiche passiert wie ihrem Vater.«
Simonte verlor erstmals sichtlich die Fassung. Er sprang auf, machte ein paar Schritte nach rechts, dann nach links und verschanzte sich stehend hinter der Lehne seines Chefsessels.
»Nein. So nicht! So lasse ich mich nicht reinlegen, von dieser ... dieser hysterischen Kuh. Glauben Sie allen Ernstes, dass ich jemand mit seinem Kind drohe? Ich bin Italiener, wenn Sie verstehen, was das bedeutet.«
Sein Gesicht wurde puterrot, seine Halsschlagadern schwollen zu reißenden Bächen an.
»Man kann von mir halten, was man will, aber Kinder sind unser Kapital. Oder glauben Sie, dass ich nicht mit Kapital umgehen kann?«
»Genau diesen Beweis sind Sie mir schuldig.«
Eine unsichtbare Wand hätte ihn nicht besser stoppen können als mein verbaler Tiefschlag. Sichtlich eines Großteiles seiner Arroganz beraubt, ließ er sich in den Sessel fallen.
»Also gut. Dass am Münsterplatz ein Teil in Erlebnisgastronomie umgewandelt werden soll, geistert schon lange durch die Presse. Aber wenn ich das vorhätte, dann würde ich die Pachtverträge ganz einfach nicht verlängern. Dass Unruhe unter den Gastronomen herrscht, passt mir selbst nicht. Ich kann mir keine Pächter leisten, die aufeinander losgehen, bis keiner mehr die Pacht zahlen kann. Ich vermute, dass der Bankdirektor mit einem Investor dahintergesteckt hat. Aber das ist nicht zu beweisen. Er war manchmal das Zünglein an der Waage. Sie verstehen?«
Ich verneinte.
»Nun, er sah das Geschäft einerseits mit den Augen des Buchhalters, und andererseits war auch zu viel Sympathie für den einen und Antipathie gegen den anderen im Spiel. Eine brisante Mischung. Da unterlaufen einem schon Fehler. Ein Banker kann sich keine Gefühle leisten. Entweder ist man Gott, oder man ist es nicht.«
»Bei Ihnen war er wohl beides«, schürte ich in der Glut.
Simonte schüttelte den Kopf. »Er war kein Betrüger. Zumindest nicht wissentlich. Er hat es nur nicht bemerkt. Das war sein Fehler.«
»Und deswegen bringt er sich um? Da habe ich aber Zweifel.«
Aufreizend langsam roch er an einer Zigarre, drehte sie am Ohr, schnitt die Spitze ab und wärmte das Deckblatt über der Flamme seines Feuerzeugs.
»Ich habe auch so meine Zweifel.« Er bekam sich auch äußerlich wieder in den Griff und spannte seinen Körper über die Tischplatte. »Ich bezweifle nämlich, dass Sie überhaupt an mir interessiert sind. Was es zu schreiben gibt, besorgt doch die lokale Presse. Was will ein großes Blatt wie Ihres damit? Sie suchen doch etwas anderes. Was ist das? Führen Sie hier private Ermittlungen? Für wen oder gegen wen? Wer ist Ihr Auftraggeber? Ihre Zeitung weiß nämlich von nichts.«
Es war an der Zeit, Gerda recht zu geben. Ich hatte ihn unterschätzt. »Gehe Anwälten aus dem Weg«, hatte mir Vater immer geraten, und ich hatte mich ausgerechnet mit einem von der cleveren Sorte angelegt.
Angriff oder Kneifen war jetzt die Frage. Eine Verteidigung verbot sich von selbst. Zielsicher hatte er sich das Unwissen meiner Redaktion über meine Recherchen zum Verbündeten gemacht.
Angriff! , tobte mein Kobold.
»Ich bin auf der Suche nach dem Phantom vom Münsterplatz.«
Für Sekunden geisterte sein Blick durch den Raum, dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Nachdem er wieder bei Atem war, hustete er hervor: »Noch so ein Idiot, der auf den Professor und diese Ratte von Gerster hereingefallen ist. Hätte ich mir ja denken können. Wissen Sie was? Sagen Sie Ihrem Chef, er soll Sie Gespenstergeschichten schreiben lassen.«
Es war sinnlos, das Gespräch auf dieser Ebene weiterzuführen. Ich stand auf und verließ grußlos den Raum.
»Halt, wo ist das versprochene Dokument?«, stürmte er mir im Treppenhaus nach.
»Vergessen Sie es.« Dann schaltete ich das Aufnahmegerät aus.
17
Ich erwischte Gerster gerade noch, als er vom Archiv zum Eingang des Erzbischöflichen Ordinariats strebte.
Nachdem ich ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte, drehte er sich wie ein ertappter Sünder um. »Ach, Sie sind es.«
»Wann kann ich Sie sprechen? Sie interessieren sich doch dafür, was am Münsterplatz vor sich geht.«
Er schien mit seinen Gedanken woanders zu sein.
»Tue ich das? Ach ja. Aber das hat sich erledigt.«
Die Pforte schloss sich sofort hinter ihm. Ich glaubte Pater Lutz kurz im Hintergrund gesehen zu haben, war mir aber nicht sicher.
So
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