Im Schatten des Pferdemondes
erwählte Prinz ein Gesicht und eine Gestalt bekommen – ein schmales Gesicht mit dunkelgrauen Augen und eine hohe, breitschultrige Gestalt.
Das Gespinst des Traums löste sich auf: Nie würde sie vergessen, wie angeekelt er sich von ihr abgewandt hatte. Die Erinnerung daran schmerzte tiefer als alles, was ihr je zuvor geschehen war.
Aus dem Haus röhrte die verhaßte Stimme ihres Vaters: »Juanita! Wo bleibst du mit dem Whisky, verdammt!« Mit seiner chronischen Gereiztheit und Übellaunigkeit war es noch schlimmer geworden, seit Eric Chuco weggenommen hatte. Die gestohlenen Tiere hatten so manchen Krug Whisky bezahlt. Ihre eigenen Tiere taugten nicht viel, und die Ernte war schlecht gewesen. Das Geld wurde knapp, und es kam kein neues herein. Und die Männer tranken immer weiter. Sie tranken und schmiedeten Pläne. »Juanita! Whisky!«
Sie duckte sich, als stünde er bereits hinter ihr, als müsse sie unter seinem Schlag wegtauchen. »Si!« Ihre Stimme klang schrill. Sie eilte zu dem einzigen einigermaßen soliden Schuppen des Anwesens, riß die Tür auf und tastete dahinter nach dem vertrauten Bastbezug des großen Whiskykrugs. Auch ohne das Licht einzuschalten, wußte sie, was sich noch in diesem Raum befand. Und ihr Gedächtnis beschwor die Erinnerung an die Schreie auf, die vor nicht allzu langer Zeit von diesen Wänden widergehallt waren. Ein Schaudern lief über ihre Haut. Wenn Eric davon wüßte ... wie sehr würde er sie hassen; sie alle, und sie, Juanita, mit ihnen.
»Juanita!«
Blind vor Angst lief sie zum Haus zurück. Ihr Vater prallte im Eingang beinahe gegen sie, sein Gesicht war verzerrt vor Wut. Er riß ihr den Krug aus der Hand. »Puhta, du dummes Stück, was hast du da draußen so lange gemacht?!«
»Nichts«, hauchte sie zitternd. »Ich hab's so schnell gemacht, wie es eben ging.«
Er drehte sich im Hochgefühl seiner männlichen Stärke in den Raum zurück, in dem die übrigen Mitglieder der Familie über ihren Karten hockten.
Angewidert starrte sie ihm nach. Sie haßte sie, einen wie den anderen.
Der Swordfish war für Eric zu einem festen Anlaufpunkt geworden. Manchmal geschah es gerade um die Mittagszeit herum, wenn die meisten Pubs geschlossen waren, daß er einen unerhörten Appetit auf ein kaltes Bier bekam. Der Swordfish war rund um die Uhr geöffnet, und Danny hatte schon recht: hier bekam man das beste Nutbrown-Ale in der ganzen Gegend. Es wurde aus den kalten und tiefen Gewölben des Kellers geholt und ganz behutsam gezapft, so daß sich sein feines Aroma nicht in einer zwar eindrucksvollen, doch nur dem schönen Schein dienenden Blume verströmte – im Swordfish verstanden sie ihr Handwerk.
Und überdies breitete sich tagsüber eine angenehme Stille in der dunklen Gaststube aus. Heute war der leere Gastraum noch dunkler als gewöhnlich. Das Jahr drehte sich in den Winter, die Tage wurden kurz. Seit nahezu einer Woche schon lagerte ein ungewöhnlich hartnäckiger Nebel über der Gegend, der in seinen Myriaden von feinsten Wassertröpfchen den Geruch brennender Holzkohle trug und alles mit einem dünnen feuchten Schimmer benetzte. Eric grub die Zähne tief in ein dickes Schinkensandwich, nippte an seinem Bier und schauderte leise, als die Flüssigkeit in seinen Magen hinunterrollte. Er hätte sich heute vielleicht doch lieber einen Tee bestellen sollen. Oder einen heißen Kakao, wie für Wolf, der nach seinem Mittagessen behaglich vor seiner Schale kauerte und beinahe lautlos trank.
»Schöner Hund.« Bridget wischte die Theke ab. Sie wirkte eher männlich, hochgewachsen wie sie war, und mit ihrem kurzen Haar, ihren rauhen Zügen und dem Teint, der einer Fünfzigjährigen gehören konnte; dabei war sie bestimmt nicht älter als Ende Zwanzig. »Ist keine Hündin, oder?«
Im Gegensatz zu ihrem gegerbten Aussehen war ihre Stimme weich und voll kehliger Untertöne, und Eric kannte sie jetzt lange genug, um zu wissen, daß diese Stimme viel mehr ihr freundliches Wesen widerspiegelte als ihr Gesicht. Er lächelte sie an. »Nein.«
»Ich frag bloß, weil meine Fluffy nämlich läufig ist, und ich hätt schon gern was Kleines von ihr, bevor sie zu alt ist dafür. Der da war grad, was mir so vorschwebt, mit seinem dicken Pelz.«
Er erinnerte sich: »Ich hab Sie mal mit Fluffy gesehen, unten am Strand.«
»Aye, da ist sie am liebsten. Wenn ich ein bißchen Zeit habe, gehen wir immer runter zum Strand. Sie hat die Wellen gern. Spielt mit ihnen, Sie wissen schon, wie Hunde das so tun
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