Im Schatten des Teebaums - Roman
Meistens von ihrem Chef, doch das behielt sie lieber für sich. »Jedenfalls war ich so wütend, dass ich blindlings aus der Hotelbar gestürmt und dabei mit Brodie Chandler zusammengeprallt bin, dem angeheuerten Jäger.«
»Ich habe Mr. Chandler noch gar nicht kennen gelernt, aber ich habe ihn ein paar Mal in der Stadt gesehen. Ein gut aussehender Mann, nicht wahr?« Tilly legte den Kopf schief. »Die dunklen, verträumten Augen und das Grübchen am Kinn …«
Eliza schaute Tilly verwundert an. Eine solche Bemerkung hätte sie von ihrer Tante nicht erwartet. »Ja, er sieht ganz gut aus«, sagte Eliza, »aber er ist gefühllos. Unter dem anziehenden Äußeren verbirgt sich ein Herz aus Stein.«
»Als ich in deinem Alter war, fand ich Männer, die ein bisschen älter waren als ich, herrlich aufregend«, gestand Tilly und lächelte verschmitzt. Als sie Elizas verwunderten Blick bemerkte, wurde ihre Miene rasch wieder ernst. »W ie kommst du darauf, dass er gefühllos ist?«
»Ich habe ihm gesagt, dass man den Tiger doch auch lebend fangen und an einen Zoo oder Zirkus verkaufen könne. Doch er wollte nichts davon wissen. Er scheint den Tiger unbedingt erlegen zu wollen«, sagte Eliza.
»Nun, Jäger erlegen ihre Beute nun mal. Ich bezweifle, dass du einen Jäger finden wirst, der das Leben eines Tieres verschont.«
»Ich habe mit Jock Milligan gesprochen, und er findet meine Idee gut.«
»T atsächlich?«
»Ja. Ich war noch nicht fort, da fing er schon an, ein Loch zu graben.«
»Ein Loch?« Tilly schaute erstaunt drein. »W ozu das denn?«
»Als Falle für den Tiger.«
»Als Falle für den Tiger?«, echote Tilly. »W as für eine verrückte Idee ist das denn?«
»Das ist überhaupt nicht verrückt«, widersprach Eliza. »Ich habe die Idee ist aus einem Buch, das ich mal gelesen habe.«
»Dann war es dein Vorschlag, ein Loch zu graben?«
»Ja. Man hebt eine tiefe Grube aus und bedeckt sie mit Ästen und Laub. Wenn der Tiger darüberläuft, bricht er ein und sitzt in der Falle.«
Tilly hob einen Korb mit Gemüse, das sie zuvor geerntet hatte, auf. »Hm. Vielleicht ist das gar kein schlechter Einfall«, murmelte sie nachdenklich. Die Vorstellung, dass der Tiger getötet wurde, war auch ihr zuwider.
Eliza ließ den Blick über den Gemüsegarten schweifen. Alles wuchs und gedieh prächtig. Vor allem die Kürbisse waren so groß, dass Eliza es kaum glauben konnte.
»W ie findest du meinen Gemüsegarten?«, fragte Tilly mit unüberhörbarem Stolz. »Mit den Kürbissen nehme ich jedes Jahr an der Landwirtschaftsausstellung in Tantanoola teil.«
»Das glaube ich dir aufs Wort«, erwiderte Eliza. »So riesige Kürbisse habe ich noch nie gesehen!«
»Mit denen habe ich drei Jahre hintereinander den ersten Preis gewonnen, und meine Rüben, mein Porree und meine Rettiche sind ebenfalls prämiert worden«, erzählte Tilly stolz. »Dieses Jahr könnten meine Saubohnen einen Preis bekommen, und mein Rhabarber hoffentlich auch. Heute Abend gibt ’ s übrigens Gemüseeintopf und zum Nachtisch Rhabarberkuchen.«
Elizas Magen knurrte laut und vernehmlich. Sie merkte jetzt erst, wie hungrig sie war. »Das hört sich verlockend an.«
»Und nur damit du ’ s weißt, Eliza – ich schlachte meine Hühner nicht. Ich esse sie nicht einmal dann, wenn sie an Altersschwäche gestorben sind. Die schönsten stelle ich aus. Meine Bantamhühner sind in den letzten fünf Jahren jedes Mal ausgezeichnet worden.«
»Oh«, machte Eliza überrascht. »Aber gelegentlich isst du schon Fleisch, oder?«
Tilly schüttelte den Kopf. »Nein, seit Jahren nicht mehr. Ich bringe es einfach nicht mehr fertig, und ich glaube auch nicht, dass man unbedingt Fleisch essen muss.«
»Ich kann dich verstehen, Tante. Wenn Dad eins von unseren Tieren töten würde, könnte ich das Fleisch auch nicht essen. Ich meine, gerade eben habe ich das Tier vielleicht noch gestreichelt, und jetzt liegt ein Teil davon auf meinem Teller …« Eliza verzog das Gesicht.
Tilly war erleichtert. »Ich bin froh, dass du so darüber denkst.«
»Ich schon, aber Mom und meine Schwester sehen das anders. Sie haben nichts für Tiere übrig.«
Tilly nickte wissend. Sie und Henrietta waren immer schon grundverschieden gewesen, und sie hatte das Gefühl, dass es sich bei Eliza und ihrer Schwester Katie genauso verhielt. »Ich mache übrigens Käse aus der Milch meiner Ziegen.«
»T atsächlich? Ziegenkäse habe ich noch nie gegessen. Und einen Obstgarten hast du auch, wie
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