Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
hoch-geschleuderte Gischt vermischte sich mit dem Regen. Binnen weniger Augenblicke war ich durchnäßt. Lästiger aber war die schwere, drük-kende Luft, die nach feuchtem Getreide und Mehl roch und die Atemwege verklebte.
    Die krumme Hütte des Pfandleihers stand in der Mitte der Brücke, eingezwängt zwischen einem steinernen Müllerhaus und einem hölzernen Speicher, die das kleine Gebäude mit den bröckelnden Mauern zu verschlingen drohten. Nur der Herr im Himmel und der Bischof von Paris mochten wissen, was den Pfandleiher ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Das schmale Fenster, das nahezu blind auf die Brük-ke schaute, war mit einer löchrigen Ölleinwand bespannt, und ich sah kein Licht dahinter. Dennoch ließ die Tür sich einfach aufdrücken, begleitet vom hektischen Gebimmel eines Bronzeglöckchens.
    Dämmerlicht und muffiger Geruch umfingen mich, und ich konnte mich kaum bewegen. Staubbedeckte Kleiderstapel türmten sich neben stockfleckigen Truhen und mit Spinnweben bedeckten Gegenständen jeder nur vorstellbaren Art: lederne Gürteltaschen und hölzerne Kürbisflaschen, Bierschalen und Suppenteller, Heugabeln und Getreidesi-cheln, sogar eine Drehleier und eine tragbare Orgel.
    Eine rußige Öllampe in der Hand, kam der graubärtige Alte, den ich von meinem ersten Besuch her kannte, eine enge Stiege herunter; in seine müden, rotgeäderten Augen sprang ein geschäftiger Funke. »Ein scheußliches Wetter heute, also wirklich, Monsieur Messire. Müssen wichtige Geschäfte sein, die Euch zum armen alten Ebrard führen. Bei dem Sauwetter haben wohl meine reichen Kollegen drüben auf der hübschen Wechslerbrücke alle ihre Läden geschlossen, was?«
    »Ich wollte zu Euch, nicht zu ihnen, deswegen.«
    Er nahm mir die Geldkatze aus der Hand und betrachtete sie eingehend im trüben Licht seiner Funzel. »Hübsch, eine sehr hübsche Arbeit, von zarter Frauenhand bestickt, wie? Aber macht Euch nicht zu große Hoffnung, viel kann ich dafür nicht geben. Wer zahlt schon viel Geld, um sein Geld aufzubewahren?« Sein meckerndes Lachen erstarb, und er befühlte meine Börse genauer. »Aber Euer Geldsack ist ja gut gefüllt! Was wollt Ihr ihn dann versetzen, Messire?«
    »Das will ich nicht.«
    »Sondern?«
    »Eine Auskunft.«
    Misstrauen und Enttäuschung zeichneten die runzligen, fleckigen Züge.
    »Ich werde sie Euch mit blanker Münze vergelten, Monsieur Ebrard.«
    Das Antlitz des Pfandleihers hellte sich wieder ein wenig auf. »Was möchtet Ihr wissen?«

    »Erinnert Ihr Euch an mich oder an die Geldkatze?«
    Er schüttelte das graue Haupt, auf dem eine speckige Wollmütze verfilztes graues Haar bedeckte.
    »Vor ein paar Wochen war ich bei Euch und habe die Geldkatze versetzt, weil mein Magen knurrte wie eine ganze Schar wütender Hof-hunde.«
    »Und dann habt Ihr Euer teures Andenken wieder ausgelöst.«
    »Eben nicht! Ich erhielt es von jemand anderem zurück und möchte wissen, wer derjenige war.«
    Ebrards Gesicht gefror, zeigte wieder Misstrauen – und Angst. Das heftige Flackern des Lichts ging auf das Zittern seiner Hände zurück.
    Ich befürchtete schon, er würde die Öllampe fallen lassen. Hastig, als sei sie ein heißes Stück Kohle, gab er mir die Geldkatze zurück.
    »Ich weiß nichts davon, rein gar nichts«, schnappte er. »Wie sollte ich mich erinnern, wer hier was auslöst? So viele Kunden kommen zu mir, tagein, tagaus.« Er sprach zu schnell und zu bestimmt, um glaubhaft zu klingen. Sein Blick huschte aufgeregt hin und her, als befürchte er versteckte Lauscher – oder Schlimmeres.
    »Wie man sieht«, sagte ich spöttisch und warf einen demonstrativen Blick auf die verstaubten Sachen. »Aber vielleicht war der Mann, der die Geldkatze ausgelöst hat, ein besonders erinnerungswürdiger Kunde.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »War es vielleicht der Geistermönch?«
    »Der Geister …«
    Seine Stimme erstarb, zitternd wie sein ganzer Körper. Fast wäre ihm die Funzel doch aus der Hand gefallen. Obwohl das Öllicht noch brannte, kam mir die Pfandleihe auf einmal noch düsterer vor als bei meinem Eintreten. Und kälter. Wie ich es bei Frollos Besuch in meiner Zelle empfunden hatte. Jetzt ging die Kälte von Ebrard aus. Kälte, Angst – Todesangst. Und Ablehnung.
    »Geht!« stieß er mit bebender Stimme aus und schob mich zur Tür.
    »Geht und kehrt nie mehr wieder! Ich kann Eure Fragen nicht beantworten. Ich weiß nichts, gar nichts! Wie soll ich mich auch erinnern, wer in meinen Laden kommt?

Weitere Kostenlose Bücher