Im Tal der bittersüßen Träume
Felix' Sturm losbricht, wird alles weggeblasen, auch Ihr Vater!«
»Ist das wahr, Pater?« fragte Evita leise.
Felix Moscia nickte. »Ja«, sagte er. »Wenn sich Paddy und seine Capatazos wehren, wird es fürchterlich werden. Sie oder wir … Das alte Gesetz!«
»Ich möchte noch einmal mit meinem Vater sprechen.« Evita erhob sich und trat an das Fenster. Vor dem Hospital hatten die ersten Maßnahmen gegen die Cholera begonnen, das einzige, was man tun konnte, ein Rückfall in das Mittelalter: Die noch kräftigeren Indios sperrten das Krankenhaus ab und jagten alles weg, was von Santa Magdalena zu Dr. Högli pilgerte: alle Kranken, Männer, Frauen, Kinder, Greise. Im Dorf war eine Panik ausgebrochen, scharenweise rückten die verängstigen Indios heran, getrieben von dem verzweifelten Glauben, im Hospital sei Sicherheit. Unser Doktor, unser Padre, er hatte immer geholfen, er war immer da für uns, er wußte immer einen Rat – warum jetzt nicht auch? Die ewige Sonne, der aushöhlende Durst, und nun auch noch die Cholera … Doktor, hilf uns! Zwei Himmel auf Erden gab es in diesem höllischen Tal: die Kirche und das Krankenhaus! Laß uns zu dir, Doktor!
Sie kamen nicht mehr heran. Auch wenn sie flehten, nach Dr. Högli schrien, die Kinder hochhielten – die Indios jagten sie weg, und als sie wie ein Block herankamen, um die Sperre aufzubrechen, schlugen die Männer mit langen Lederpeitschen auf sie ein.
Evita wandte sich ab und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Sie hörten das Lärmen hier im Zimmer, das Schreien und Kreischen der Frauen, das Klatschen der Peitschenschläge.
»Es muß etwas geschehen!« sagte Pater Felix laut. »Die Welt von Santa Magdalena geht zugrunde. Evita, sprechen Sie mit Ihrem Vater!«
»Was nun?« fragte auch Miguel Lagarto.
Sie hatten das Frühstück nicht angerührt; der so reichgedeckte Tisch mit Brot, Butter, Konfitüren, Wurst, Fruchtsäften, Eiern, frischen Früchten und verschiedenen Käsesorten war wie ein Hohn. Das Wasser des großen Swimming-pools glitzerte blau in der gnadenlosen Sonne, im Park drehten sich wieder die Sprenger – köstliches, lebenerhaltendes Wasser, weggeschleudert für Blumen und Rasen, während jenseits der Mauer die Menschen verdorrten. Lagarto stand mit Jack Paddy auf der Terrasse und blickte hinüber zu den drei Leichen vor dem Tor.
»Wollen Sie immer noch nicht kapitulieren, Sie Rindvieh? Glauben Sie, die Cholera macht vor Ihrem Tor halt? Sie war ja schon bei Ihnen mit Antonio Tenabo. Verdammt, Jack, lassen Sie mich zu meinem Wagen. Ich fahre nach Nonoava!«
»Dazu müßten Sie am Dorf vorbei, Mr. Lagarto, und an der Kreuzung geht's nicht mehr weiter!« Paddy ging zurück in sein Haus. Lagarto folgte ihm und riß ihn plötzlich an der Schulter herum. Es war erstaunlich, wieviel Kraft dieser hagere Mensch hatte – er schaffte es, daß der Bulle Paddy stolperte und nach Halt suchte.
»Meine Tochter ist da unten!« schrie Lagarto. »Mein einziges Kind! Mitten unter den Cholerakranken!«
»Dafür hat sie ja auch diesen völlig idiotischen Arzt geheiratet!« schrie Paddy zurück. »Miguel, warten Sie noch drei Tage ab! Dann läuft hier alles anders!«
»Mein Gott, haben Sie denn statt eines Herzens eine Peyotlkaktee in der Brust!« Lagarto ließ sich in einen Sessel fallen. »Auch Ihre Matri wird sterben!«
Jack Paddy senkte den dicken Kopf. Matri, dachte er. Frau Ximbarro heißt sie jetzt. Ximbarro, welch ein Name! Läuft davon und heiratet. Läuft mir davon – und ich habe sie aufgezogen wie eine Prinzessin, wie mein Kind, die ganze Welt könnte ihr zu Füßen liegen. Aber sie heiratet einen Mestizen! Gibt es noch einen Grund, sich um Matri zu kümmern? In seiner gekränkten Eitelkeit redete Paddy sich ein, daß er wirklich beabsichtigt habe, aus Matri, dem Findelkind und Hausmädchen, nicht etwa seine Geliebte, sondern eine in Ehren gehaltene Pflegetochter zu machen.
»Wir sind in den Arsch getretene Väter, Lagarto«, sagte er. »Wir ziehen Töchter auf wie Orchideen, und dann kommt ein Landstreicher und pflückt sie einfach ab. Vergessen wir sie!«
»Ich werde es nie können, Jack. Nie! Ich muß Evita aus Santa Magdalena herausholen!« Lagarto zeigte zum Fenster hinaus. »Was nützt Ihnen Ihr Sieg, wenn Sie auf einem Haufen von Choleratoten sitzen?«
Paddy schwieg. Er ging zum Fenster. Seine Capatazos blieben in ihren Häusern, bis auf die eingeteilten Wächter. Auch die Frauen seiner Vorarbeiter ließen sich nicht sehen, die
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