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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ängstlich noch einmal zu Paddy zurück. Der stand mit hängenden Armen, geradezu lächerlich in seiner bulligen Nacktheit, im Flur und tippte sich an die breite Stirn. Von draußen kam das Singen näher, ein uralter getragener Indianergesang, mit dem man einst die Toten begraben hatte. Die Scheinwerferkegel suchten noch immer die Straße nach Santa Magdalena ab, ihr gleißendes Licht ließ die kahlen Felsen wie Silber leuchten – aber bis auf einen einsamen Indio, der anscheinend als Späher vorausgelaufen war und nun, geblendet von dem Licht, die Hände vor den Augen, mitten auf der Straße stehenblieb, war noch nichts zu sehen.
    »Haben Sie einen Wurm im Hirn?« brüllte Paddy zu Porelle hinüber. »Was faseln Sie da? Ich bin tot! Ich lebe wie nie zuvor! Ein Stier ist ein Kümmerling gegen mich! Hören Sie diesen Gesang? Das ist ein Lebenselixier für mich!«
    »Wen haben Sie im Bett, Jack?« rief Porelle. Er hob beide Hände und kreischte fast auf, als Paddy zwei Schritte auf ihn zuging. »Bleiben Sie stehen! Wer liegt in Ihrem Bett?«
    »Die schönste Indiohure! In Wasser umgerechnet, ist sie mein ganzes Schwimmbad wert!«
    »Paddy!« schrie Porelle mit sich überschlagender Stimme. »Gehen Sie in Ihr Schlafzimmer, und kommen Sie nie mehr raus! Ich garantiere Ihnen: Wenn Sie sich draußen blicken lassen, erschlägt man Sie!«
    »Sie wollen meine Leute gegen mich aufhetzen? Womit denn, wenn ich fragen darf?« Paddy hob lachend die Pistole.
    »Mit der Cholera, Jack!« Porelle wich zurück – er hatte die Weite der Halle in seinem Rücken, die breiten Türen, die Veranda, die Treppe zum Vorplatz, das freie Land. »Sie haben die Cholera!«
    Paddy war in seinem Leben nur selten sprachlos gewesen. Er hatte es sich nie leisten können, seine Überlegenheit zu verlieren. Aber jetzt kam es ihm vor, als habe ihn Porelle auf rätselhafte Weise gelähmt. Nicht einmal lachen oder fluchen konnte er. Er stand nur da, glotzte den kleinen, nackten, salbenbeschmierten Mann an und spürte, wie es kalt in ihm hochkroch. Er ist nicht verrückt … Er hat nicht den Verstand verloren, seit die Indios ihn in die Kakteen gepreßt haben … Irgend etwas in seiner Stimme verrät mir, daß er die Wahrheit sagt. Die Cholera? Ich? Ein toter Mann? Und dabei platze ich vor Gesundheit. Die kleine Wildkatze kann's bestätigen …
    Die Cholera?
    Er blickte an sich hinunter, wollte sich wieder zu Porelle wenden, aber der Franzose rannte weiter und hatte schon die Tür zur Terrasse erreicht.
    »Bleiben Sie stehen, Porelle!« Er hob die Pistole und schoß. Aber er traf nur eine Vase. Ein Porzellansplitter drang Porelle in den Rücken, er schrie hell auf, krümmte sich und rannte weiter. Paddy schoß noch einmal, aber da war Porelle schon aus dem Haus und sprang über die Terrasse.
    Die Hacienda glich jetzt einer belagerten Burg. Auf den Wachttürmen standen die Capatazos hinter den Maschinengewehren, das große schwere Bohlentor war geschlossen und durch Querbalken gegen einen Rammstoß gesichert, an den Schießscharten der Palisade warteten als Scharfschützen ausgebildete Mexikaner, aus den Magazinen rollten zwei Granatwerfer heran und wurden in Stellung gefahren. Ihre kurzen dicken Rohre zeigten in den Nachthimmel. Es kam nicht darauf an, zu zielen – wenn die Granaten über die Mauer orgelten und irgendwo auf oder neben der Straße explodierten, mußte es unter den ahnungslosen Indios eine Panik geben. Mit den armseligen Möglichkeiten der Leute von Santa Magdalena ließ sich Paddys Festung nicht einnehmen.
    »Das Tor auf!« brüllte Porelle auf der Terrasse. Zitternd lehnte er sich an das schöne Holzgitter und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Die Mexikaner blickten ihn verwundert an. Der Gesang aus dem Tal war angeschwollen und kroch die Straße herauf. Vierhundert verzweifelte Kehlen – das gibt einen Ton, den man nie mehr vergißt.
    »Was wollt ihr verteidigen?« brüllte Porelle die mexikanischen Leibwächter an. Er sprang die Freitreppe hinab und fuchtelte mit den Armen. »Das Wasser? Die Hacienda? Das Meskalin? Paddys Reichtum? Ihr Idioten! Ihr Idioten! Keiner will euch an den Kragen – aber ihr laßt euch überrennen, nur weil ein Kerl wie Paddy es will! Ist euch euer Leben nicht mehr wert als diese lausigen Peseten? Für wen wollt ihr denn kämpfen? Geht doch ins Haus, seht ihn euch an! Bevor ihr ihn erkennt, riecht ihr ihn! Er hat die Cholera! Er hat die ganze Nacht mit der Cholera im Arm geschlafen! Ihr werdet alle

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