Im Tal der bittersüßen Träume
sie sehen.«
Am Abend kam Pater Felix zum Hospital. Seinen alten Jeep hörte man schon von weitem. Er brachte einen der schwarzen runden Indiohüte mit; vier Schußlöcher hatten den Filz zerrissen.
»Die Straße ist gesperrt«, sagte er, als Dr. Högli ihn Evita Lagarto vorgestellt hatte. »Die Indios haben es mir sofort gemeldet, und ich bin mit diesem Hut an einer Stange – eine neue Version von Wilhelm Teil! – bis zur Höhe gefahren. Da war Schluß. Aus den Felsen von beiden Seiten hagelte es Schüsse. Außerdem ist meine Telefonleitung unterbrochen.«
»Ich weiß. Wir sind auch abgeschnitten, Pater.« Dr. Högli betrachtete den durchschossenen Hut. »Paddy war immer ein Perfektionist.«
»Was soll das alles?« fragte Pater Felix ratlos.
»Er will diesen Brief haben.« Högli zeigte auf das große dicke Kuvert. Evita hatte es in seiner Gegenwart aufgeschlitzt und den Inhalt auf den Tisch geschüttet. Fünfzigtausend Dollar in bar, in großen Banknoten, und ein Scheck auf die Nationalbank in Mexico City über zweihundertfünfzigtausend Dollar.
Pater Felix schüttelte den Kopf. »Trotzdem. Über das Bargeld wird Señorita Lagarto Rechenschaft ablegen müssen, und einen Scheck kann man sperren und einen neuen direkt an die Bank schicken. Weshalb regt er sich so auf?«
»Er ist in einer Klemme.« Dr. Högli vermied es, Evita anzusehen. Er wollte vermeiden, daß sie seine Sorge an seinen Augen ablesen konnte. »Señorita Lagarto ist zu einem potentiellen Gegner geworden. Er muß sie ausschalten. Wir können ihm ja nur kleine Insektenstiche beibringen; ich kann meine Kranken nicht verlassen, Sie nicht Ihre Gläubigen. Aber Señorita Evita kann draußen einen gefährlichen Wirbel veranstalten.«
»Das heißt …«, sagte Pater Felix mit plötzlich trockener Kehle.
»Ja, das heißt es!« Dr. Högli blickte auf seine Hände. »Sie werden sich auf einen längeren Aufenthalt in Santa Magdalena einrichten müssen, Señorita Lagarto. Zum Flirt nach Acapulco kommen Sie nicht mehr.«
»Sie glauben wirklich, er läßt auf mich schießen?« sagte Evita mit einem Gleichmut, den weder Pater Felix noch Dr. Högli verstanden.
»Glauben? Wir wissen das.« Der Pater zeigte auf den Indiohut. »Ich schlage vor, Sie ziehen ins Pfarrhaus um. Dort sind Sie sicherer, Señorita Lagarto, als im Hospital.«
»Paddy wird sich einen Dreck um Ihre Kirche kümmern, Pater.« Dr. Högli schüttelte den Kopf. »Seine mexikanische Leibwache stürmt auf Befehl auch Gotteshäuser.«
»Die meisten von diesen Schießhelden kommen heimlich zu mir zur Beichte. Und außerdem … Haben Sie im Hospital zwei Maschinenpistolen?«
»Nein.«
»Na also!«
»Pater!«
»Es steht nirgendwo in der Bibel, daß man sich wehrlos abschlachten lassen soll.« Pater Felix lächelte mild. Sein asketisches, schmales Gesicht wurde erstaunlich weich. »Und soll Señorita Lagarto immer nur Kranke sehen? Bei mir hat sie Unterhaltung. Ich habe noch einen weiblichen Gast.«
»Pater, Sie sind ein ganz abgefeimter Bursche!« Dr. Högli hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Saftgläser klirrten. »Matri ist bei Ihnen!«
Pater Felix nickte fröhlich. »Wie steht es geschrieben, Doktor?« Er hob sein Glas. »Lasset die Kindlein zu mir kommen … Übrigens, der Wetterbericht im Radio: Es gibt auch weiterhin keinen Regen.«
In den nächsten Tagen verhielt sich Paddy still.
Das hieß nicht, daß er untätig war. Seine kleine Privatarmee, meistens abenteuerlich aussehende Mexikaner, die er aus allen Gegenden herangeholt hatte – viele hatten überhaupt keine Papiere –, zog den Ring um Santa Magdalena dichter. Pater Felix nannte es: »Er schnürt uns zu wie einen Tabaksbeutel. Auch alle Eselspfade und Trampelwege hat er unter Kontrolle. Sein größter Trick: An allen Wegen nach Santa Magdalena hat er große Schilder aufgestellt. Aufschrift: Achtung! Seuchengebiet! Betreten verboten. Lebensgefahr! – Ein raffinierter Bursche, was? Da kehrt jeder sofort um, ohne lange zu fragen. Die Festung ist vollkommen. Nichts schreckt mehr als die Gefahr einer tödlichen Ansteckung.«
»Ich weiß nicht, was er damit erreichen will.« Dr. Högli saß in dem kleinen Garten hinter dem Pfarrhaus in einer Art Laube. Auch dieser Garten war braun, staubig, verdorrt. Jeder Wassertropfen aus dem Kirchenbrunnen gehörte den Menschen. Vier Mestizen, die sich auch als Meßdiener ablösten, gingen abends mit Wasserkannen durch das Dorf und verteilten die kostbaren Tropfen erst an
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