Im Tal der bittersüßen Träume
Kranke, Alte und Kinder, ehe der Rest unter den Männern geteilt wurde.
Dreimal war Evita Lagarto mitgegangen; jedesmal kam sie erschüttert von dem Elend zum Pfarrhaus zurück und war beschämt, wenn sie an das weiße Schloß der Lagartos in El Paso dachte. Immer wieder sagte sie: »Das habe ich nicht gewußt. Daß Menschen so leben können …«
»Sie haben es bisher immer verstanden, einen großen Bogen um die Armut zu machen«, sagte Dr. Högli. »Das schöne Mexiko! Palmenhaine am Meer, Blumenkorsos, Karneval der Freude, Rumbamusik, Flirt an riesigen Swimming-pools, Paraden, Pferde mit silberbeschlagenem Zaumzeug … Das ist nicht Mexiko, Señorita!«
»Warum muß er mich immer attackieren, Pater?« rief Evita wütend. Ihre schwarzen Augen glühten. »Bin ich schuld am Elend dieser Menschen? Oh, Sie aufgeblasener Armenarzt! Sie wollen doch nur hören, daß Sie ein Märtyrer sind!«
Am vierten Tag trabte eine kleine Reitergesellschaft durch Santa Magdalena und hielt vor der Kirche. Der Boden war so ausgetrocknet, daß die Pferdehufe Löcher in die Erde schlugen. Pater Felix blickte auf, als einer der Meßdiener-Mestizen in den Garten stürzte, das Gesicht vor Angst verzerrt, am ganzen Körper zitternd.
»Er ist da!« stammelte er. »Er hält auf dem Kirchplatz. Mit seinen besten Männern. Gott verfluche sie!«
»Doktor, gehen Sie mit Señorita Evita ins Haus und setzen Sie sich in die Küche. Da sind Sie am sichersten. Und du in den Keller!« Pater Felix zeigte auf Matri, die abseits an einem Tisch saß und eine Melone zerteilt hatte. »Paddy will nur demonstrieren, wie mutig er ist. Das haben wir gleich.«
»Ich komme natürlich mit«, sagte Dr. Högli. Sie waren aufgesprungen und rannten ins Haus. Pater Felix zeigte auf die Küchentür.
»Da hinein, Doktor!«
»Pater!«
»Keine Widerrede! Sie sind in meinem Haus, und das ist ein Haus Gottes! Wollen Sie Gott wiedersprechen?«
»Das ist typisch jesuitische Logik!«
»Wir brauchen in Santa Magdalena einen Arzt, aber keinen Wirrkopf!«
Dr. Högli schob die widerstrebende Evita in die Küche. Matri kletterte über eine schmale Treppe in den kleinen Keller und zog hinter sich die Falltür zu. Högli hörte, wie sie von innen einen knirschenden Riegel vorschob. »Und Sie meinen, Ihr Priesterrock ist Panzer genug, um allein mit Paddy und seinen Gesellen zu sprechen?«
»Riccardo, fragen Sie nicht soviel! Das ist jetzt genauso wie bei Ihnen am Operationstisch: Man muß sich entscheiden – und das sofort! Los, in die Küche!«
Pater Felix rannte weiter, machte einen Umweg über sein Arbeitszimmer, gelangte von dort in die Kirche und trat durch die kleine Tür in die Sakristei. Dort legte er seine Stola um, klemmte die Maschinenpistole unter den rechten Arm und ging langsam um den Altar herum, durch den Mittelgang, und hinaus durch das immer offen stehende Portal.
Vor der Kirche standen die schwitzenden Pferde. Die Männer saßen noch in den Sätteln, auch Jack Paddy, der beim Anblick von Pater Felix laut lachte. Das Dorf schien leer. Alles hatte sich in die Hütten verkrochen und die Türen verrammelt.
»Wir suchen Matri!« rief Paddy. »Pater, ich habe es Ihnen gesagt: Ich lasse nicht locker. Was Sie und Ihr Doktor von mir erzählen, ist mir gleichgültig; es glaubt Ihnen doch niemand. Und sollten einige Beamte nachdenklich werden, so gibt es Freunde genug, die ihnen einen Geldschein auf den Mund kleben. Wie sagt Gott? Der Himmel gehört den Einfältigen. Aber mit Matri ist das etwas anderes. Wo ist sie?«
Pater Felix hob den linken Arm zu einer bedauernden Gebärde. Mit dem rechten hielt er die Maschinenpistole. Es war ein äußerst seltsamer Anblick, der selbst Paddy nicht unberührt ließ: Ein schlanker, asketischer Priester mit einem Backenbart, in langer weißer Soutane, um die Schultern die goldbestickte Stola gelegt, in der Hand die schußbereite Waffe, und um ihn herum das glühende, ausgelaugte, sterbende Land.
»Pater!« sagte Paddy gefährlich ruhig. »Als Volksaufwiegler mögen Sie eine gewisse Qualität haben, als sozialistischer Idiot sind Sie sogar Spitze, aber den Unwissenden nehme ich Ihnen nicht ab. Matri versteckt sich bei Ihnen!«
»Sind Sie so sicher, Señor?« fragte Pater Felix.
»Und wie!« Paddy winkte. Der eng zusammengescharte Reitertrupp bewegte sich, man reichte einen großen, länglichen Gegenstand herüber und warf ihn vom vordersten Pferd in den Staub. Der Gegenstand rollte etwas über den Boden und blieb dann
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