Im Tal der bittersüßen Träume
Evita?«
»Was soll diese Frage, Pater?«
»Sie ist fasziniert von Ihnen, Ihrem Leben, Ihrer Armut, Ihrem Kampf gegen Elend und Krankheit; es ist für sie eine neue Welt, fast ein Märchen, das sie plötzlich erlebt. Für den Armen sind Prinzessinnen die goldenen Märchengestalten – für eine Prinzessin wie Evita sind Sie, der arme Hund, so etwas wie ein Sagenheld. Gegensätze ziehen sich an, der uralte Spruch gilt immer noch. Darum meine Frage: Wie soll das mit euch beiden ausgehen?«
»Ist das jetzt so wichtig, Pater?«
»Das müssen Sie wissen, Doktor. Wenn ich Chihuahua lebend erreiche, werden einige Menschen wie in einem Wirbelsturm durcheinanderfliegen! Darunter wird auch der reiche Señor Lagarto sein, der Biedermann mit der Teufelshand. Mir wäre nur nützlich zu wissen, ob ich dann einen Lumpen oder Ihren Schwiegervater auf die Hörner nehme.«
»Gibt es da einen Unterschied, Pater?«
»Töchter hängen sehr an ihren Vätern, auch wenn die Väter Schurken sind.«
»Nehmen Sie keine Rücksicht, Pater.« Dr. Högli hielt Pater Felix einen Handspiegel vor das Gesicht. »Bis auf Ihre Kummerfalten sehen Sie wirklich passabel aus …«
Pater Felix schob den Spiegel zur Seite. »Sie sollten mit Evita darüber sprechen, Riccardo«, sagte er. Es war das erstemal, daß er Högli beim Vornamen nannte. »Sie sind ein Mensch, der mit seiner Seele lebt und dann erst mit dem Intellekt und dem nüchternen Kalkül. Ich möchte nicht, daß Sie an einer Frau zugrunde gehen. Evita ist eine wundervolle Frau – aber sie braucht die blühenden Parks von Acapulco, die Cocktail-Stunde im weißen Nerz, eine weichgepolsterte Gartenliege mit Sonnensegel. Ob sie auf einem selbstgebauten harten Hocker vor stinkenden Indios oder in einem heißen Verbandszimmer voller Eitergeruch glücklich sein wird, das wäre eine Frage, die jetzt noch nicht endgültig zu beantworten ist. Trotzdem sollte man sich Gedanken darüber machen.«
»Evita hat mich gebeten, sie zu allen Untersuchungen mitzunehmen. Ich soll sie zur Arzthelferin ausbilden. Ist das keine Antwort?«
»Eine halbe, Doktor. Sie sind Evitas strahlender Sagenheld! Aber immerwährendes Heldentum, aus nächster Nähe erlebt, ist etwas entnervend. Ist Ihre Liebe wirklich so groß? Das Bett, Doktor, ist auch nicht so wichtig … auch da schläft bald die Langeweile mit. Liebe muß tiefer sitzen. Liebe ist Aufgabe und Neugeburt eines Menschen …«
Wenig später standen sie vor dem Hospital und winkten Pater Felix nach. Evita war bei ihnen, in der weißen Soutane des Priesters, mit einem alten Strohhut auf dem Kopf, um etwaige Beobachter Paddys zu täuschen. Als Pater Felix in einer großen gelben Staubwolke verschwand, wandte sich Evita ab und ging ins Haus zurück.
»Ich liebe dich, Riccardo«, sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die Dr. Högli entwaffnete. »Ich habe euer Gespräch gehört. Welche Frau läßt sich das entgehen und lauscht nicht an der Tür? Ich liebe dich und werde bei dir bleiben, und ich kann auf einem harten Hocker sitzen und eitrige Wunden auswaschen, und du bist kein Sagenheld für mich, sondern mein Mann. Ist das genug?«
»Ich habe nie daran gezweifelt, Evitalita.« Er zog sie an sich und küßte sie, und als sie sich berührten, war wieder dieser seltsame Zauber in ihnen, diese Sehnsucht, die die Haut mit einem unerklärbaren elektrischen Flimmern durchzog.
Aber sie hatten keine Zeit für sich. Juan-Christo klopfte an der Tür und rief von draußen: »Kommen Sie, Doktor! Eine Geburt. Eine schwierige Sache. Der Kopf des Kindes ist im Becken festgeklemmt.«
»Das wird ein Kaiserschnitt.« Dr. Högli küßte Evita auf die geschlossenen Lider. Erst dann kam ihm zu Bewußtsein, wie absurd die Situation war … sie trug den Priesterrock. Er ließ sie los und wischte sich mit beiden Händen über das staubige Gesicht.
»Ich helfe dir bei der Operation«, sagte sie und knöpfte die weiße Soutane auf. Sie war darunter nackt bis auf einen winzigen Slip. Pater Felix hätte dies wieder eine giftige Anmerkung entlockt.
»Wir brauchen Wasser, viel heißes Wasser.«
»Ich habe heute morgen dreißig Liter gefiltert, Riccardo.«
»Dreißig Liter für ein kleines Heer von Kranken.« Dr. Högli riß die Tür auf. Juan-Christo lief gerade um die Ecke des langen Ganges zum OP. »Morgen werden es vielleicht nur zwanzig sein. Wir werden wirklich dazu gezwungen werden, Paddys Brunnen zu stürmen.«
Nun also fuhr Pater Felix in schnellem Tempo aus Santa
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