Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
zu bewahren, aber jetzt wollte sie es auch nicht mehr wissen. Sie wollte das Lied nicht schön finden, und vor allem wollte sie nicht, dass die Mutter und der Vater sich in diesen Abend drängten, der ihr gehörte – ihr und Jaime.
Seine Stimme ließ sie zusammenfahren. »Sie ist gut«, raunte er mit einer Kopfbewegung in Richtung der Patti. »Aber wenn sie sich an diesen schwülstigen mexikanischen Rührstücken versucht, ist sie genauso abgeschmackt wie alle anderen.«
Josefa sagte nichts.
»Jetzt behaupten Sie nicht, Ihnen gefällt dieser Schmachtfetzen.«
Heftig schüttelte sie den Kopf.
»Wollen wir gehen?«
Sie nickte, obwohl sie nicht wollte, dass der Abend endete. Er wies den Logenschließer an, ihre Mäntel zu bringen, legte ihr die Mantilla um die Schulter und führte sie aus der Loge, ehe der letzte Ton des Liedes verklang. Noch ein paar Herzschläge lang hatten sie den Gang für sich allein, dann strömten aus allen Türen Besucher, und das Gesumm der Stimmen verwandelte das Theater in ein Bienenhaus. Im unteren Foyer war eine ganz in Glas und Goldbeschlägen gehaltene Bar errichtet worden, die ausschließlich Champagner ausschenkte.
»Bitte«, wagte Josefa sich vor, ehe es zu spät war, »können wir noch ein einziges Glas zusammen trinken?«
Er musterte sie lange, als hätte sie etwas Doppeldeutiges gesagt. Dann winkte er dem Kellner, der sie an einen der gläsernen Tische geleitete und gleich darauf einen gläsernen Kühler mit einer Flasche brachte. Josefa wollte eben aufatmen, weil er sie noch nicht verließ, da hörte sie, wie jemand nach ihr rief. »Señorita Alvarez?« Sie fuhr herum. Vor ihr stand eine Frau in einem schwarzen Kleid, die ihr prächtiges Haar mit goldenen Kämmen zurückgesteckt trug. Eine jener Frauen, die von ihrem aristokratischen Profil bis hinunter auf die graziösen Fußspitzen jederzeit perfekt wirkten. »Das sind doch Sie?«, fragte sie ein wenig atemlos und voller Wärme. »Sie sind Benito Alvarez’ Tochter, richtig?«
Es war die Frau aus dem Wagen am Nationalpalast. Die Geliebte ihres Vaters.
»Hören Sie, könnten Sie mir wohl helfen?«, sprach die Frau weiter. »Ich möchte Ihnen nicht lästig fallen, aber es wäre sehr dringend. Ich muss unbedingt Ihrem Vater eine Nachricht nach Querétaro zustellen lassen, und als ich Sie eben sah, da hoffte ich, Sie könnten es für mich tun.«
»Guten Abend auch Ihnen, Doña Dolores«, fiel Jaime messerscharf ein. »Ihre Ungezwungenheit in allen Ehren, aber ich muss Sie dennoch bitten, die Dame nicht länger zu behelligen. Señorita Alvarez befindet sich in meiner Begleitung, und ich wünsche nicht, dass ihr der Abend verdorben wird, weil Sie sie mit Ihren schwülen Vertraulichkeiten in Verlegenheit bringen. Falls es Ihrem Wunsch entsprach, dass die ganze Stadt über Sie und den Gouverneur von Querétaro spricht, so haben Sie Ihr Ziel ohnehin längst erreicht.«
So beschämt sich Josefa vom Verhalten der Frau fühlte, so selig war sie über Jaime. Er stand für sie ein. Obwohl er um ihretwillen in eine blamable Szene gezogen wurde, bekannte er sich zu ihr und beschützte sie.
Das Gesicht der Frau verdunkelte sich. »Wie können Sie es wagen?«, rief sie. »Wenn Sie mich mit Dreck bewerfen, weil ich die Einzige bin, die Ihrem abartigen Charme nicht erliegt, haben Sie meinethalben Ihr Vergnügen daran, aber Benito Alvarez lassen Sie aus Ihrem widerlichen Spiel. Was ein anständiger Mann ist, können Sie doch überhaupt nicht begreifen – das ist, als wollte man einen Felsen lehren, warum ein Herz schlägt!«
An allen Tischen drehten sich Köpfe. Ein saftiger Skandal in der Parkettbar war offensichtlich nicht minder fesselnd als auf der Opernbühne. In den Augen der Frau glänzten Tränen. Jäh packte sie Jaimes Champagnerglas und schüttete ihm den Inhalt ins Gesicht. Alles geschah in Windeseile, und doch prägte sich Josefa jede Einzelheit ein. Hoch aufgerichtet stand die Frau vor Jaime und ließ das leere Glas auf dem Boden zerschellen. In ihrem Rücken wurde verhaltenes Gelächter laut, das sich nach allen Seiten fortsetzte und sich wie eine Schlinge um sie schloss. Was ihr ins Herz schnitt, war Jaimes Gesicht. Vollkommen außer sich, nicht fähig, die erlittene Beleidigung zu parieren, starrte er die Frau an. Seine Lider flatterten, und Tropfen vom Champagner rannen ihm wie Tränen über die Wangen.
Wie konnte diese Frau, das Flittchen ihres Vaters, es wagen, einen Mann wie Jaime Sanchez Torrija derart zu
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