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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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erlaubte ihm, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, mit niemandem sprechen und vor allem Dans verkniffenes Gesicht nicht sehen zu müssen. Er glaubte nicht, dass das Fotostudio ein Erfolg werden würde; soweit er wusste, hatte Dan außer amateurhaften Aufnahmen, wie jeder sie machte, nichts vorzuweisen, und es war nur wieder eines der vielen Hirngespinste, die ihm durch den Kopf geisterten. Aber das konnte ihm egal sein. Ryan hoffte ohnehin von ganzem Herzen, dass er irgendwann einen anderen Job finden, auf dem Absatz kehrtmachen und seinem Chef höchstens noch den Mittelfinger zeigen würde – was er in Gedanken ohnehin zwanzigmal am Tag tat.
    Die Ereignisse hatten sich überschlagen seit dem gestrigen Abend. Gegen achtzehn Uhr hatte Bradley angerufen.
    »Wir haben sie. Wir haben Corinne!«
    Ryan, der müde von der Rückfahrt und von all den Ereignissen zutiefst seelisch erschöpft und mutlos auf seinem Bett gelegen hatte, ehe das Telefon klingelte, war sofort elektrisiert. »Mum? Mum ist zurück?«
    »Ein paar versoffene Späthippies haben sie in einem abgelegenen Haus festgehalten. Zum Glück hat eines der Mädchen schließlich die Polizei gerufen. Corinne ist jetzt im Krankenhaus.«
    »Ist sie … ist sie verletzt?«
    »Nein, aber sie ist in einem fürchterlichen Zustand. Absolut am Ende ihrer Kräfte. Sie ist bis jetzt nicht einmal vernehmungsfähig. Ich durfte auch nur ganz kurz zu ihr.«
    »Und hat sie da etwas gesagt?«
    »Nein. Sie hielt die Augen geschlossen und hat überhaupt nicht reagiert. Keine Ahnung, was die mit ihr gemacht haben …«
    Beide schwiegen sie beklommen. Ryan spürte, dass Nora herangekommen war. Er wandte sich ihr zu.
    »Sie haben Corinne gefunden!«
    Nora schrie auf. »Gott sei Dank!«
    »Weiß man etwas über diese Leute?«, fragte Ryan nun wieder ins Telefon.
    Bradley gab einen Laut des Abscheus von sich. »Man weiß genug über sie, um sich als normaler Bürger dieses Landes zu fragen, weshalb so etwas eigentlich frei herumlaufen darf. Arbeitsscheues Gesindel, das unter asozialen Umständen auf einer heruntergekommenen Farm haust und die Sozialhilfe verprasst. Drogen, Alkohol, all dieses Zeug. Aber klar, wir zahlen unsere Steuern schließlich zunehmend dafür, dass der Staat solche Leute über Wasser hält!«
    »Wie kamen die denn gerade auf Mum?«, wollte Ryan wissen.
    »Keine Ahnung. Die gesamten Hintergründe sind völlig unklar. Corinne kann noch nichts aussagen, und die Leute, die auf der Farm leben, müssen erst ausnüchtern. Die Polizei spricht jetzt mit dem Mädchen, das sie verständigt hat, aber ich weiß noch nichts Näheres.«
    »Ich kann mir freinehmen und zu euch kommen«, bot Ryan an. Er war gerade an diesem Tag erst die ganze Strecke wieder von Yorkshire nach Wales gefahren, aber er wäre sofort ohne zu zögern erneut ins Auto gestiegen. Nach all den Jahren, in denen er ohne jeden Kontakt zu seiner Mutter gelebt hatte, war er plötzlich von dem fast schmerzhaften Wunsch ergriffen, sie sofort in die Arme zu schließen. Sie festzuhalten, zu trösten, ihr zu versichern, dass alles gut würde.
    Doch Bradley hatte abgewehrt. »Im Moment soll niemand zu ihr. Dann wird die Polizei mit ihr sprechen … Sie braucht jetzt Ruhe, und nach all der Zeit … Es würde sie vielleicht stressen, dich zu sehen. Außerdem …« Er stockte.
    »Ja?«, fragte Ryan.
    »Ich weiß nicht, was ihr die Polizei alles sagt. Vielleicht erfährt sie ja auch, dass du im Gefängnis warst. Ich glaube, wir sollten ihr Zeit lassen, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen, ehe du ihr gegenübertrittst.«
    Ryan hatte verstanden. Bradley bewahrte selbst in extremen Situationen seine höfliche Art, aber eigentlich hatte er sagen wollen: Untersteh dich, hier aufzukreuzen! Du hast deiner Mutter das Leben schon schwer genug gemacht! Der letzte Mensch, den sie jetzt brauchen kann, ist ihr missratener Sohn, der sich nicht sehr viel besser durchs Leben schlägt als die Typen, die sie überfallen und verschleppt haben.
    »Ich möchte zumindest mit ihr telefonieren«, sagte Ryan.
    »Daran kann ich dich vermutlich nicht hindern«, entgegnete Bradley kühl, dann verabschiedete er sich förmlich und legte den Hörer auf, ehe Ryan noch etwas sagen konnte.
    Er hatte die ganze Nacht über nicht geschlafen, und auch jetzt, während er die Wände von Dans Fotostudio mit weißer Farbe strich, jagten sich die Gedanken in seinem Kopf. Zuerst war er am Vorabend natürlich erleichtert gewesen: dass Corinne zurück war, dass sie

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